Diagnose Fibrodysplasia ossificans progressiva (FOP) - und nun?

Diagnosen

Diagnose Fibrodysplasia ossificans progressiva (FOP) - und nun?

Stand: 15.02.2023

Vielleicht bist Du hier gelandet, weil dein Kind die Diagnose Fibrodysplasia ossificans progressiva (FOP) erhalten hat. Vielleicht suchst Du auch einfach nach Informationen zu diesem Thema. Im Folgenden erhältst Du einen ersten Überblick und bekommst einige wichtige Informationen. Auch wenn jedes Kind ganz unterschiedlich ist, gibt es Merkmale, die bei der Diagnose häufiger auftreten. Außerdem bekommst Du ein paar Tipps, wie Du dein Kind unterstützen kannst.

Bildquelle: © adimas - stock.adobe.com 

 

Falls es noch nicht lange her ist, dass Du diese Diagnose für dein Kind erhalten hast, empfehlen wir dir zu Beginn den Fachbeitrag "Diagnose Erstmitteilung - vom Suchen und Finden“ zu lesen oder unser Video dazu auf YouTube anzusehen. In diesen bekommst Du wichtige Informationen und Hinweise zu den ersten Schritten nach einer Diagnosemitteilung.

Was ist das?

FOP (Fibrodysplasia ossificans progressiva), früher auch Münchmeyer-Syndrom genannt, ist ebenfalls unter dem Namen Myositis ossificans multiplex progressiva (MOP) bekannt. Übersetzt bedeutet dies, dass sich Muskel-, Binde- und Stützgewebe unaufhörlich fortschreitend in Knochen verwandeln. FOP ist eine sehr schwere, seltene vererbte Krankheit.

Wie äußert sich FOP?

Bei der Geburt gibt es fast keine Anzeichen auf FOP. Einzige Ausnahme ist eine Fehlbildung des großen Zehs, der oft verkrümmt und kürzer ist. In der frühen Kindheit entstehen schmerzhafte Schwellungen an den Skelettmuskeln (häufig fälschlicherweise als Tumore diagnostiziert), welche dann in Knochen umgeformt werden. Als Folge davon werden Gelenke wie „versteinert“, die Beweglichkeit kann nicht mehr wiedergewonnen werden. 

Der neu entstandene Knochen darf keinesfalls entfernt werden, da es sonst zu erneutem explosionsartigen Wachstum der Knochen führt. Sogar leichte Stöße, Prellungen, Impfungen oder Spritzen zur Zahnbehandlung können dazu führen, dass sich Muskeln in Knochen verwandeln.

Wie häufig kommt FOP vor?  

FOP ist eine der weltweit seltensten Krankheiten. Weltweit sind ungefähr 700 Fälle bekannt. Das Geschlecht hat keine Auswirkung auf die Wahrscheinlichkeit von FOP.

Was sind Ursachen von FOP?  

Die Ursache liegt an einer einzelnen Punkt-Mutation im Gen des ACVR1-Rezeptors.  Vereinfacht gesagt wird der Rezeptor beispielsweise für die Skelettentwicklung und Skelettreparatur im Körper benötigt. Die Mutation führt zu einer Überaktivierung des Rezeptors und dies hat die Knochenneubildung z. B. in Muskeln und Sehnen zur Folge. Dadurch kommt es zu einer Versteifung der Gelenke, wodurch die Bewegung unmöglich gemacht wird. 

Wissenschaftler arbeiten an der weiteren Erforschung und neuen Behandlungsmöglichkeiten von FOP. Auf der Seite des FOP e.V. findest Du aktuelle Informationen dazu.  

Wie ist der Krankheitsverlauf bei FOP?

FOP ist eine Erkrankung, die momentan noch nicht aufgehalten werden kann. Das „P“ in FOP steht für das Wort progressiva, was bedeutet, dass es eine fortschreitende Krankheit ist. Die Betroffenen sind von ihrer Geburt an mit der Krankheit konfrontiert. Dies bedeutet jedoch nicht, dass ihnen sofort in den ersten Tagen zusätzliche Knochen wachsen.

Es wurde beobachtet, dass das Fortschreiten von FOP einem festen Schema folgt. Die ersten Extraknochen wachsen im Nacken- und Schulterbereich. Die Nächsten weiten sich auf den Rücken aus. Später sind die Hüften und die Beine betroffen. Der Verlauf ist „von oben nach unten, von hinten nach vorn, vom Rückgrat zu den Gliedmaßen, von körpernah zu körperfern, von jung zu alt“, wie es Richard B. Steele, Vater eines an FOP erkrankten Mädchens, vereinfacht beschreibt.    

FOP wird häufig in den ersten zehn Lebensjahren erkannt, wobei sich die ersten Symptome während der ersten beiden Lebensjahrzehnte zeigen. Versteifungen im oberen Rumpfbereich treten vor allem in der Kindheit auf, wohingegen die Verknöcherungen der Hüften und der Beine vermehrt während der Pubertät und dem frühen Erwachsenenalter auftreten.

Bevor eine Verknöcherung auftritt, bekommt der Betroffene an dieser Stelle eine Schwellung, die sehr oft schmerzhaft ist und sich warm anfühlt. Diese Schwellung kann in Folge eines Schubes auftreten, welcher bis zu 6 - 8 Wochen dauern kann. FOP-Betroffene berichten, dass sich die Schwellungen von Kindern von denen der Erwachsenen unterscheiden. Bei kleinen Patienten findet man häufiger knotenförmige Schwellungen, bei Erwachsenen eher flächige Schwellungen, die sich über ganze Gliedmaßen verteilen und keine deutlichen Knoten bilden.  

Ärzte, die FOP noch nicht diagnostiziert haben, entnehmen dieser Schwellung häufig eine Gewebeprobe. Durch diese Verletzung des Gewebes, wird der momentane Zustand des Patienten verschlimmert. Die schmerzhaften Läsionen (= Schädigungen, Verletzungen, Störungen) werden oft fälschlicherweise als Tumor diagnostiziert. Zur allgemeinen Überraschung verheilen diese Läsionen, indem sie Knochengewebe bilden. Durch unvermeidbare Verletzungen wächst dem FOP-Betroffenen im Laufe seines Lebens ein „zweites Skelett“, das ihn in seiner Motorik stark einschränkt.

Der FOP-Knochen, der durch eine Verletzung neu gebildet wird, unterscheidet sich nicht von einem ursprünglichen Knochen. Auch dieser kann brechen, weist Knochenmark auf, aber er hat keine besondere, sondern eine störende Funktion. Der „FOP-Knochen ist in jeder Hinsicht völlig normal, außer, dass er nicht da sein sollte“, beschreibt Dr. Kaplan den Extraknochen.

Der Körper eines Betroffenen bildet nicht pausenlos neue Knochen. Es können Wochen, Monate oder sogar Jahre ohne neues Knochenwachstum vergehen. Wann und an welcher Stelle sich neues Knochenmaterial bildet, hängt vom genetischen Bauplan jedes Einzelnen ab. Meist treten die Extraknochen, so genannte heterotopische Knochen, nach Läsionen des Gewebes auf. Es bleiben in manchen Fällen Verletzungen jedoch auch ohne Folgen. Es kann nicht genau gesagt werden, wann, wo und wie oft sich die Extraknochen bilden, deswegen müssen die Betroffenen sehr sorgsam auf ihren Körper achten.

Auffallend ist, dass einige Bereiche frei von Verknöcherungen bleiben. Die Muskeln des Zwerchfells, der Zunge, der Augen, des Gesichtes und auch die Muskeln des Herzens werden nicht befallen.

Kann FOP vererbt werden? 

Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Paar, in dessen Familie noch nie ein Fall von FOP bekannt war, ein Kind bekommen könnte, das von FOP betroffen ist, liegt bei 1:2 Millionen. Sollte in einer Familie FOP vorkommen, heißt dies nicht, dass die Nachkommen in zweiter oder dritter Generation ebenfalls erkranken müssen. Den Forschern ist bisher nur eine Familie bekannt, in der vollkommen gesunde Eltern zwei Kinder bekommen haben, die an FOP erkrankt sind. Warum das so ist, wissen die Ärzte momentan noch nicht, arbeiten aber intensiv daran, dies in Erfahrung zu bringen. Möchte ein Betroffener eigene Kinder bekommen, liegt die Wahrscheinlichkeit bei 50%, dass das Kind mit FOP zur Welt kommen wird.

Neben dem hohen Risiko FOP an ein Kind weiterzugeben, ist die Schwangerschaft für eine Betroffene sehr gefährlich. Aufgrund der Erkrankung kann sich der Körper der Frau nicht dem Wachstum des Kindes im Mutterleib anpassen. Die schon von Knochen überwucherten Organe hätten, zusammen mit dem Ungeborenen, nicht ausreichend Platz im Körper und es könnte zu lebensbedrohenden inneren Verletzungen kommen.

Gesundheitliche Auswirkungen

Aufgrund der Knochenverwachsungen um den Brustkorb leiden die Patienten häufig unter Atemschwierigkeiten. Die Lunge eines gesunden Menschen fasst bis zu 6,5 Liter. Bei Betroffenen kann das Volumen  auf 2,5 Liter sinken. Die schlechtere Durchlüftung der Lunge kann zu häufigeren Lungenentzündungen führen.

Des Weiteren führt die Versteifung des Kiefergelenkes zu Problemen bei der Nahrungsaufnahme, was in den meisten Fällen zu einer Unterernährung führt. Auch die Versteifung der Gelenke kann bei Stürzen eine deutliche Gefahr darstellen, da Abfangbewegungen nicht möglich sind und in Folge des ungebremsten Sturzes schwere Schädel-/Hirnverletzungen auftreten können. Diese drei Auswirkungen können die Lebenserwartung senken. Eine zusätzliche Beeinträchtigung des Herzens durch den verknöcherten Brustkorb wäre zu erwarten, jedoch gibt es bislang keine eindeutigen Hinweise darauf.

Bisher kann gesagt werden, dass das Durchschnittsalter von Menschen mit FOP 40 Jahre beträgt. Allerdings gibt es auch einige Patienten, die bereits älter als 60 Jahre sind. 

Gibt es Therapiemöglichkeiten? 

Derzeit gibt es keine Therapie für FOP und auch keine Möglichkeit zur Verhinderung von FOP. Forscher arbeiten derzeit jedoch stetig an der Neuentwicklung von Medikamenten, die weitere FOP-Schübe verhindern oder deren Wirkung verringern sollen. 
Im Verlauf der Forschung wurde zum Beispiel bereits ein Gen namens Noggin bei Mäusen entdeckt, welches die Ablagerung von Knochen stoppen kann oder ein Stoff bei Haien, welches die Knochenbildung aus Knorpel verhindern soll. Für die Linderung von Schmerzen können bei akut auftretenden Schüben entzündungshemmende Medikamente, wie z. B. nichtsteroidale Antirheumatika und Corticoide, eingenommen werden. Außerdem gibt es Einzelbeobachtungen über positive Wirkungen von Pamidronat und Biphosphonat. Auf der Seite der FOP e.V. findest Du weitere Informationen über den aktuellen Stand der Forschung.

Auf was sollte bei der Behandlung von Menschen mit FOP geachtet werden?  

  • Injektionen
    Spritzen direkt in den Muskel, so genannte intramuskuläre Injektionen, müssen vermieden werden, da der Einstich eine minimale Verletzung des Muskelgewebes verursacht und einen Krankheitsschub auslösen kann. Solche Injektionen sind unter anderem Schutzimpfungen und lokale Betäubung. Injektionen unter die Haut, so genannte subkutane Injektionen oder Impfungen, sind weniger risikoreich.
     
  • Zahnarzt
    Unvermeidbar sind regelmäßige Besuche beim Zahnarzt. Das Kiefergelenk ist charakteristischerweise eines der letzten Gelenke, das versteift. Betroffene verschiedener Altersgruppen berichten, dass jedoch v.a. nach Zahnarztbesuchen Komplikationen im Kiefergelenk auftraten. Die Verabreichung einer lokalen Betäubung bei einer zahnärztlichen Behandlung muss unbedingt vermieden werden. Patienten berichten, dass bereits wenige Tage nach der Behandlung Versteifungen auftraten, die zum dauerhaften Verlust der Kieferbeweglichkeit führten.
     
  • Chirurgische Eingriffe
    Ein chirurgischer Eingriff bedeutet, dass das Skelett- und Muskelsystem verletzt wird. Die Verletzung des Körpergewebes löst Vorgänge zur Bildung von Extraknochen aus. Folglich kann von jeglicher Art einer chirurgischen Maßnahme nur abgeraten werden. Allerdings gibt es lebenswichtige Notfälle, bei denen man sich für eine Operation entscheiden muss.
    Oft fragen Patienten mit FOP bei Orthopäden nach, ob zusätzlich gewachsene FOP-Knochen operativ entfernt werden können. Dies könnte natürlich durchgeführt werden, doch hätte der Eingriff nur einen kurzzeitigen Erfolg. Diese Verletzung des Gewebes und das Herausnehmen des Knochens würde ein solch großes Trauma für den Körper bedeuten, dass er kurze Zeit später eine noch stärkere Verknöcherung bilden würde.

Welche Schule ist für mein Kind mit FOP geeignet?  

FOP betrifft den Körper, nicht die kognitiven Fähigkeiten oder die Intelligenz.

Gegen Ende der Kindergartenzeit sollten die Eltern überlegen, wo und an welcher Schule sie ihr Kind einschulen lassen möchten. Da die Auswirkungen von FOP in den ersten Jahren noch nicht so schwerwiegend sind, ist der Besuch einer Regelschule in der Regel unproblematisch. Es sollte jedoch beachtet werden, dass das Gebäude wenige Treppen besitzt und der Klassenraum ebenerdig zu erreichen ist. Zudem ist es wichtig sich mit dem Rektor und den Lehrern auszutauschen und gemeinsame Wege zu finden, wie ein Schulbesuch gelingen kann. Auch die Information der Mitschüler ist wichtig.

Sollte FOP schon weiter fortgeschritten sein und das Kind in seiner Mobilität schwer einschränken, können andere Möglichkeiten in Betracht gezogen werden, z. B. eine Förderschule mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung oder auch eine Assistenz durch einen Schulbegleiter kann dann sinnvoll sein.

Das sagen Betroffene

Auf der Seite des FOP e.V. findest Du Berichte aus dem Leben von Menschen mit der Diagnose FOP. 

Weiterführende Informationen
Quellenverzeichnis
  • Burns, M. (2006). Scientists discover gene causing rare bone disorder. earthtimes. k.A..
     
  • Evers, M. (2003). Die lebenden Statuen. Der Spiegel, Heft 6, 144-148.
     
  • k.A. (2006). Fibrodysplasia ossificans progressiva: Gen für das „zweite Skelett“ entdeckt. Ärzteblatt. http://www.aerzteblatt.de/v4/news/news.asp?id=24159
     
  • Kaplan, Dr. F.S. & Kantanie, S.L. (1999). Das Risiko minimieren: Zahnärztliche Vorsorge für FOP-Patienten. In Wagman, R.B., Kantanie, S.L., Kaplan, Dr. F.S. & Mühlhoff, F. (Hrsg.), Was ist FOP? Fibrodysplasia ossificans progressiva. Ein Leitfaden für Familien, k.A.. Waltenhofen.
     
  • Kaplan, Dr. F.S. & Kantanie, S.L. (1999). Fibrodysplasia Ossificans Progressiva (FOP): Muster des Fortschreitens. In Wagman, R.B., Kantanie, S.L., Kaplan, Dr. F.S., Mühlhoff, F. (Hrsg.), Was ist FOP? Fibrodysplasia ossificans progressiva. Ein Leitfaden für Familien, k.A.. Waltenhofen.
     
  • Kaplan, Dr. F.S. & Zasloff, Dr. M.A. (1999). FOP und lebensbedrohende Notfälle: Wie verfährt man mit der Narkose? In Wagman, R.B., Kantanie, S.L., Kaplan Dr. F.S. & Mühlhoff, F. (Hrsg.), Was ist FOP? Fibrodysplasia ossificans progressiva. Ein Leitfaden für Familien, k.A.. Waltenhofen.
     
  • Offenberger, M. (2006, 16. Mai). Kleine Mutation, großes Leid. Süddeutsche Zeitung. k.A.
     
  • Steele, R.B. (1999). Zugänglichkeit oder Aufgeschlossenheit. In Wagman, R.B., Kantanie, S.L., Kaplan,Dr.F.S. & Mühlhoff, F. (Hrsg.), Was ist FOP? Fibrodysplasia ossificans progressiva. Ein Leitfaden für Familien, k.A.. Waltenhofen.
     
  • Witkowski, R., Prokop, O., Ullrich, E. (1999). Lexikon der Syndrome und Fehlbildungen – Ursachen, Genetik und Risiken (6. Aufl.). Berlin, Heidelberg u.a..
     
  • www.fop-ev.de
     
  • www.ifopa.org
     
  • https://www.orpha.net/consor/cgi-bin/OC_Exp.php?Lng=DE&Expert=337
Bildquellen