Einrichtung der Behindertenhilfe kämpft ums Überleben

In Aschaffenburg/Unterfranken könnten in naher Zukunft in einer Einrichtung der Behindertenhilfe die Lichter ausgehen. In der Wohneinrichtung werden derzeit 24 Menschen mit einem komplexen Behinderungsbild betreut. Die Eltern und Angehörigen wurden gebeten, ihre zu Betreuenden vermehrt nachhause zu holen und/oder selbst in der Einrichtung tätig zu werden. Desweiteren sollen Bewohner „ausgelagert“ werden. Sollte bis September 2023 keine Bewegung in den Verhandlungen mit dem Bezirk Unterfranken gekommen sein und eine Refinanzierung von Zeitarbeitskräften seitens Bezirk übernommen werden, wird sich der Träger gezwungen fühlen, die ersten Kündigungen der Wohnheimplätze auszusprechen. Mit einer Notbesetzung wird vorerst noch versucht, bis dahin eine Betreuung für die verbleibenden Bewohner abzusichern.
Zu diesem einschneidenden Schritt sei es gekommen, da der Bezirk Unterfranken keine Zeitarbeitskräfte refinanziert und der Träger selbst dazu auch nicht bereit ist, oder aber nicht über die entsprechende finanzielle Absicherung verfügt.
Im Vorfeld wurde des öfteren versucht, über eine politische Schiene diese Situation zu entschärfen. Leider hat alles bis jetzt nicht zu einem gewünschten Erfolg geführt. Ich persönlich bin selbst durch meinen Sohn hautnah betroffen. Ich gehöre auch zu den Elternteilen, die nach wie vor aktiv in der Selbsthilfe unterwegs sind. Die ihrem Kind auch immer noch zeitweise ein Zuhause bieten können. Was aber mit den betroffenen Bewohnern, die keine Angehörigen mehr haben? Wie kann unser Sozialsystem solche Zustände zulassen?
Ich lese in den Zeitungen von Flüchtlingshilfe, Ukraine Krieg und von der letzten Generation und für was sie im Einsatz ist. Ich spende für die Lebenshilfe, für die Blinden, für die Epilepsiehilfe, nur um ein paar Beispiele zu nennen. Ich bin im Ehrenamt seit mehr als 40 Jahren unterwegs. Mir wurde das Bundesverdienstkreuz verliehen und bin Mitinhaber des Bay. Sozialpreises, der unserer Plattform vor einigen Jahren verliehen wurde. Bei Staatsempfängen versuche ich immer jede Gelegenheit auszunutzen, um mit den potenziellen Entscheidungsträgern ins Gespräch zu kommen. Jetzt fühle ich mich so hilflos und auch allein gelassen, wie nie zuvor. Mit Barbara Stamm haben wir adhoc unsere Fürsprecherin, so scheint es mir, verloren. Sie hatte alle im Blick. Auch die Menschen mit komplexer Behinderung und vor allem auch die Eltern und Angehörigen. Momentan entwickelt sich bei mir das Gefühl, dass die Letzten, also die Menschen, die am untersten Rand stehen, jetzt gnadenlos die Ersten sein werden, die still und lautlos und ohne Protest, einfach verschwinden werden. Außer es geschieht ein Wunder.

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Hallo Kirsten,
das macht fassungslos, traurig und wütend. Die Verantwortlichen haben die Katastrophe seit Jahren und Jahrzehnten kommen sehen, aber sie haben nicht reagiert. Auch jetzt wird nur wieder finanziell reagiert, anstatt echte Änderungen anzustreben.
Schlechte Arbeitsbedingungen führen zu Fachkräftemangel. Fachkräftemangel führt zu schlechteren Arbeitsbedingungen und Abwanderung in - für Betroffene unbezahlbare - Leiharbeit.
Menschen in der sozialen Arbeit brauchen viel, viel bessere Arbeitsbedingungen.
In Zeit-Online war vor knapp eineinhalb Jahren ein Artikel über den akuten Fachkräftemangel in der Behindertenhilfe (Archivseite)

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Kleines Update zur Sachlage. Einige Bewohner sollen bereits in eine andere Einrichtung verlegt worden sein. (Von den 3 Wohngruppen ungefähr 1 Gruppe) Die anderen Bewohner, zumindest bei denen die Möglichkeit besteht, werden zeitweise nachhause geholt.

Neues aus der Wohneinrichtung in Unterfranken, die um das Überleben kämpft. Mittlerweile zieht auch wieder Corona durch die Einrichtung und noch nicht alle Betreuer sind durch. Das bedeutet, dass wieder in der Belegung reduziert werden musste. Einer der Bewohner, also die in ein anderes Wohnheim des gleichen Trägers umverteilt wurden, ist mittlerweile verstorben. Noch ist kein Licht am Ende des Tunnels zu sehen.
Politik und Verwaltung sind involviert und die Hoffnung der verzweifelten Eltern und Angehörigen ruht auf einem Brandtisch.
Währenddessen hat man das Gefühl, dass dieses Thema nur bei wenigen Verantwortlichen Aufmerksamkeit erregt. Ich dagegen finde schon, dass man in Deutschland das Augemerk auch auf diese Zustände richten sollte.
Zuerst wurden wir Eltern gebeten unsere Kinder vermehrt oder ganz nachhause zu holen. Jetzt ist der erste Bewohner verstorben. Wo werden wir am Ende des Jahres stehen?

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Hallo,
ich hoffe die Einrichtung gibt es noch oder es hat sich eine andere gute Lösung für euch gefunden.
Ich kenne die Situation von beiden Seiten. Als Angehöriger eines jungen Mannes mit komplexen Behinderungen finde ich in und um unsere Stadt keinen Wohngruppen Platz mit Nachtbetreuung.
Alle Kinder mit Anfällen die ich kenne sind noch zu Hause.
Einige kämpfen seit Jahren mit der Kasse um die Finanzierung der Intensivpflege, die Ende Oktober wieder mal ausläuft.
Ein Angehöriger von mir arbeitete in einer Wohngruppe mit zehn Betreuten.
Die Mitarbeiter haben durch die Bank nach spätestens zwei Monaten gekündigt, so schrecklich waren die Arbeitsbedingungen. Nur mit Hilfe der Zeitarbeit konnte man überhaupt die Notbetreuung sicherstellen.
Der Träger hat sechs neue Mitarbeiter eingestellt, die sich Vollzeit um die Rekrutierung neue Arbeitskräfte kümmern.
Sie schreiben Stellenangebote mit dem alten schlechten Bedingungen, die blumig ausgeschmückt werden. Sie machen Werbung in Pflege Schulen der Region. Wenn die Schüler nach einer besseren Gehaltklasse fragen, können sie es leider nicht bieten.
Würde man das Geld für die sechs Vollzeitkräfte auf die Betreuer aufteilen , würde der eine oder andere vielleicht bleiben. So kündigen sie munter weiter und sehen zu wir Zeitarbeiter mehr verdienen, niemals im frei angerufen werden, Urlaub am Weihnachten bekommen und verstehen die Welt nicht mehr. Die Bewohner haben keine Vertrauensperson und niemanden der länger als zwei Monate da ist.
Die Politik und leider auch die Leitungen der Träger haben die Situation immer noch nicht verstanden. Die Initiative die Zeitarbeit zu verbieten wird die Leute nicht in die Einrichtungen zurück bringen. Stadtdessen werden sie den Beruf wechseln und aus der Pflege für immer verschwinden.
Ich hatte vorher schon Angst vor der Zukunft meines Kindes. Seitdem mein Angehöriger in dem Bereich arbeitet, habe ich gemerkt wie wenig ich eigentlich gewusst habe und wie viel schlimmer es inzwischen steht…
Liebe Grüße Marti

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Die aufgrund des Personalmangels eingesetzten Zeitarbeitskräfte seien etwa dreimal so teuer wie fest angestelltes Personal. Die Kosten dafür übernehme allerdings die Stadt nicht.