Fürsorge und Selbstbestimmung

Das Recht auf Teilhabe und die UN-Behindertenrechtskonvention haben das Leben der Menschen mit Behinderung in ihren Rechten gestärkt und auch gesetzlich abgesichert. Wie verhält es sich aber, wenn man zwischen Fürsorge und Selbstbestimmung hin und her schwankt? Der eine Betroffene braucht mehr Fürsorge unter Einhaltung der geforderten Selbstbestimmung und der andere Betroffene möchte einfach selbstbestimmt und seinen Möglichkeiten entsprechend frei und selbständig leben. Ein Balanceakt, gerade auch für Eltern, wenn sie zum Beispiel aus absolut nur gut gemeinter (Über?) Fürsorge, nicht loslassen können, oder immer wieder ausdrücken, dass nur sie selbst wissen, was ihrem Kind gut tut? Eigentlich braucht es beides in einem guten Verhältnis zueinander. Menschen mit Behinderung sind abhängig vom System. Aber deswegen darf man sie nicht bevormunden. Man muss ihnen mit den möglichen Mitteln zur Seite stehen und bei Bedarf eben auch Hilfe anbieten. Dazu braucht es ein Umdenken auch in den Unterstützerkreisen. Die Lebenshilfe Freising möchte zu einer Diskussion rund um das Thema anregen und sammelt Erfahrungsberichte. Bildet euch eure eigene Meinung, vertretet eure eigene Meinung und somit hilft es auch allen wieder weiter. Wer sich an der Diskussion beteiligen möchte, oder noch mehr Information braucht, findet diese zum Thema auf der Seite der Lebenshilfe Freising - Zwischen Fürsorge und Selbstbestimmung

Momentan ist wohl das Schlagwort in der Lebenshilfe und auch darüber hinaus in der Behindertenhilfe: Selbstbestimmung

Für mich tun sich da ganz viele Fragen auf. Wie sollen wir damit umgehen? Zum einen fallen die Menschen mit Behinderung unter Fürsorge und es wird seitens der Familie, der Eltern und der Behindertenhilfe ein Netz an Betreuung und Sorge gestellt. Zum anderen wird der Ruf nach einer viel größeren Unabhängigkeit laut. Wie vereinbart sich auf der einen Seite eine Selbstständigkeit und auf der anderen Seite aber eine bestehende Hilflosigkeit, in diesem Fall eine geistige Behinderung. Dass Menschen mit einer Körperbehinderung völlig selbstbestimmt leben können, hier liegt die Betonung darauf, dass sie es eben können, bewegt es sich bei Menschen mit kognitiven Einschränkungen, oft auch noch auf einer anderen Ebene. Natürlich muss auch eine Fürsorge seitens der Eltern wohl dosiert sein und irgendwann muss man als Eltern auch loslassen können. Da liegt aber der Knackpunkt und Eltern tun sich oftmals schwer. Wir wissen (denken), dass nur wir dem Kind das Beste an Betreuung geben können. Immerhin sei hierbei angefügt, dass man uns das auch immer wieder unter die Nase reibt, wenn wir auf Missstände in der Versorgung von Menschen mit hohem Hilfebedarf außerhalb des Elternhauses hinweisen. Wir stecken sie in Wohnformen und sind überzeugt (oder auch überhaupt nicht), dass sie sich da wohl fühlen. 20 Jahre und mehr, haben wir teilweise um das Leben des Kindes gekämpft, nächtelang am Bett gesessen, gekämpft und gehofft. Wir wissen ganz genau, wieviel Zeit wir damit verbracht haben und wieviel Zeit es braucht, Menschen mit einem hohen Hilfebedarf adäquat zu versorgen. Fachleuten aus dem Wohnbereich kann man schon mal dabei zuhören, wenn sie von den „Eltern“ sprechen und wie schrecklich es ist, wenn sie die Betreuung auch noch innehaben. Selbstbestimmt könnte ein erwachsener Mensch mit Behinderung, vorausgesetzt er ist dazu in der Lage, Betreuern erzählen wie es ihm geht, was er möchte, was gerade wichtig ist. Das kann sehr gut funktionieren und es geht sicher auch ohne Eltern. Aber was ist mit den zu Betreuenden, die neben einem großen Unterstützungsbedarf auch noch auf eine sehr aufwendige medizinische Betreuung angewiesen sind? Wie vereinbart sich da der Personalmangel, häufig wechselndes Personal und vor allem zunehmende Tendenz zu nicht Fachkräften, mit einer guten und umfassenden Betreuung. Denn denken wir an rechtl. bestellte Berufsbetreuer, dann wissen wir, dass diese unterbezahlt sind, oftmals zig zu Betreuende in ihrer Kartei haben und zudem ja auch mal Feierabend verdient haben.
Selbstbestimmt und selbst bestimmen wo es lang geht. Wie finde ich heraus, ob mein nicht sprechendes, blindes und hilfloses, erwachsenes Kind z.B. einen Berufsbetreuer vorziehen würde? Welche Richtung schlägt die Behindertenhilfe gerade ein?
Wie komme ich eigentlich auf diese Gedanken und warum beschäftigt es mich so sehr, dass fremde Menschen von außen, vielleicht frisch aus der Ausbildung, oder auch von der Uni kommend, Eltern nicht in ihrem Umfeld wissen wollen? Haben sie auf der einen Seite Angst vor Kontrolle? Ist es wirklich die Unterstützung der Selbstbestimmung, aber woher nehmen sie das Wissen, in wie weit der zu Betreuende was möchte? Auch Menschen mit einem hohen Hilfebedarf sind kein Besitz. Weder von Eltern, noch werden sie es außerhalb des Elternhauses, nur weil sie auf Unterstützung von außen angewiesen sind. Sie werden auch nicht zum Freiwild, mit denen man machen kann was man will. Leider wurden erst kürzlich Betroffene ermordet, weil sie zu verkehrter Zeit am für sie richtigen Ort waren. War es der richtige Ort? Scheinbar nicht. Selbstbestimmt, wären sie vielleicht trotzdem dort gewesen, oder auch nicht. Die Behindertenhilfe wächst, reift heran und geht in die Zukunft. Wenn aber immer alle zu Betreuenden in einen großen Topf geworfen werden und Argumente für ein selbst bestimmtes Leben allen betroffenen Gruppen übergestülpt werden, auch denen, die sich selbst nur mit viel Unterstützung vertreten können, ist es dann für letztere auch überhaupt noch eine Art Selbstbestimmung? Ganz ehrlich, ich persönlich sehe keine Selbstvertreter aus den vorderen Reihen der Behindertenbewegung, die sich wirklich dem Alltag von Menschen mit einem hohen Hilfebedarf annehmen und wissen, für wen sie da eigentlich sprechen. Es stehen einige Entscheidungen in der nächsten Zeit an, was u.a. den Umfang von Teilhabeleistungen betrifft. Es wird sich zeigen, wer mitgenommen wird und wer aus dem System herausfällt. Berufsbetreuer, hauptamtliches Personal führen Aufgaben gemäß Gesetz und Vorschrift durch. Eltern fordern Gesetze, die die Aufgaben gemäß dem Anspruch ihres Kindes mit Behinderung untermauern und ihnen das Recht zusichern.

Fazit und meine Fragen: Für wen und was steht eigentlich die Lebenshilfe? Entzieht sie sich gerade momentan aller Kontrollen und will zu einem Handlanger von Gesetzen werden? Werden die Eltern aus dem System entfernt, weil man Menschen mit Behinderung in eine Richtung schiebt, die sie ihren nicht Fähigkeiten entsprechend irgendwann einsam werden lassen? Ich bin für ein selbstbestimmtes Leben! Aber ich vermisse das Hervorheben von den Bedürfnissen der Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf und vor allem eines vermisse ich absolut: Das Mitnehmen einer Betroffenengruppe, die wohl gerne selbstbestimmt wäre, aber für die immer wieder über den Kopf hinweg mitgesprochen wird. Das ist so traurig.