Dass wir Deutschen gerne auch einmal die Augen zumachen, wenn es um Dinge, geht mit denen wir uns gar nicht so identifizieren können oder auch wollen, ist ja bekannt. Das Wort, oder die Begrifflichkeit von Solidarität dürfte vielen in der Gesellschaft zumindest ein wenig bekannt vorkommen. Was ich manchmal vermisse, ist ein gellender Aufschrei von der Behindertenbewegung, wenn es um die Rechte von Menschen mit hohem Hilfebedarf geht, wenn diese im stationären Wohnen untergebracht sind.
Dass die Politik am Anfang Menschen im stationären Wohnen mit der Unterbringungsform von Alten- und Pflegebedürftigen Menschen gleichgesetzt hat, scheint ja auch nicht von ungefähr zu kommen. Für mich stellt sich da jetzt mal eine Frage. Eigentlich sogar mehrere. Es gibt für ein behindertengerechtes Umfeld, bzw. für Umbau oder Hilfen für individuellen Bedarf Zuschüsse von der Pflegekasse. Bett, Bad, Rampen, alles für die Verbesserung des Wohnumfeldes. Aber nur für den häuslichen Bereich. Von der Pflegekasse gibt es bis zu 1000€ im Monat zur Sicherung der individuellen Pflege, darüber hinaus auch noch Geld für Kurzzeitpflege, Famlienentlastenden Dienst und auch für niederschwellige Angebote. Ebenfalls ein paar Tausend € im Jahr. Bei einem stationären Wohnen in einer Wohngemeinschaft hingegen, gibt es 266€ Zuschuss von der Pflegekasse im Monat. Das war es. Doch, richtig gelesen. Das war es! Nix Geld aus der Pflegekasse für niederschwellige Angebote oder so. Wozu auch, dafür ist gegebenenfalls ja der Anbieter der Wohnform zuständig. Dass der am Ende sehr kostenreduziert, also seitens der Leistungsträger im Sinne der Teilhabe, mit Zahlen jonglieren muss, ist ja nebensächlich. Gut, Inkontinenzhilfen müssen gut berechnet sein, Bettgurt ersetzt dann auch schon mal nicht finanziertes Personal, und sterben müssen wir ja am Ende alle. Empfehlenswert wäre dabei aber im stationären Wohnen nicht unbedingt der Unfalltod. Da Krankenkassen bei Unfällen nicht weiter nach „Verantwortlichen“ suchen, wird so etwas vielleicht auch mal in Kauf genommen und sollte noch medizinische Hilfe notwendig sein, dann wird das einfach unbürokratisch übernommen. Das sieht schon anders aus, wenn es sich im häuslichen Bereich ereignet. Da können dann schon unangenehme Fragen auftauchen. Ich frage mich jetzt, ob die Menschen im Wohnheim bereits von der Gesellschaft ausgelistet sind und die Menschen im häuslichen Bereich dann doch eher vermisst würden?
Also ich finde schon, dass Menschen mit Behinderung im stationären Wohnen, offensichtlich Menschen zweiter Klasse sind. Liegt es an den wenigen Fürsprechern? Warum finden sich da meistens keine neben den Eltern und engsten Angehörigen, wenn überhaupt? Die Gesellschaft vergleicht gerade den Zustand um Corona teilweise wie die Praktiken im Dritten Reich, oder auch ehemalige DDR, merkt aber gar nicht, dass auch ohne Corona Zustände in unserem Land geduldet werden, weil man es selbst anscheinend für richtig hält, weil man kein Interesse daran hat, oder aber, weil man ja so froh ist, dass man selbst gesund ist. Mmh, ja, da wäre ja jetzt Corona und diese begleitende Pandemie legt gerade eine alte graue Flickendecke über Teile der Behindertenhilfe ab. Wir werden sehen, ob eine alte Decke geflickt werden kann, oder ob es die Chance ist, für alle Menschen mit Behinderung, mit gleichwertigen Chancen in die Zeit nach der Pandemie blicken zu können.
Da fällt mir noch etwas zum Thema ein. Wäre es nicht an der Zeit, dass man auch die Meinung von Betroffenen mit hohem Hilfebedarf im stationären Wohnen mit in die Diskussion um die Isolation mit hineinbringt? Es reden momentan zu viele wichtige Menschen, die sich Gehör wie auch immer verschaffen, über Probleme von Menschen, mit denen sie sich niemals vergleichen würden. Mache ich den Mund auf, heißt es lapidar, dass bei mir ja alles anders ist. Ja bitte, warum ist es denn so? Ich habe das System nicht aufgebaut. Es zu ändern, dazu fehlt mir aus der eigenen Betroffenheit anscheinend die Erfahrung. Diese wichtige Komponente wird oft unterschätzt. Nicht nur von der Politik, nicht nur von der Verwaltung, sondern auch von der Betroffenheit und deren Vertreter teilweise selbst. Sind wir nicht so individuell, so verschieden in unseren Ansprüchen, in unserem Alltag, unserem Empfinden, als dass man uns über einen Kamm scheren könnte? Oder uns in den stationären Wohnangeboten einfach nur „gut“ aufgehoben weiß und mehr brauchen wir nicht (mehr) von dem gleichen Anspruch ans Leben, wie alle anderen Menschen auch?