Rund um das Thema Sexualität

Jugend- und Erwachsenenalter

Rund um das Thema Sexualität

Stand: 09.10.2024

Sexualität gehört zum Leben dazu. Alle Menschen haben in der Regel die gleichen Bedürfnisse und verspüren Sehnsucht nach Liebe, Lust und Intimität. Leider aber war und ist das Thema Sexualität bei Menschen mit Behinderung bis heute noch in einigen Bereichen ein Tabu-Thema. In folgendem Fachbeitrag bekommst Du einige Informationen und Anlaufstellen.

Bildquelle: © itakdalee - stock.adobe.com

Entwicklung von Sexualität

Sexualität im Kindesalter

Bereits im Mutterleib machen noch ungeborene Kinder sinnliche Erfahrungen, beispielsweise  durch Lutschen am Daumen oder der Kontakt mit dem warmen Fruchtwasser. Direkt nach der Geburt erleben Säuglinge viele sogenannte Lustgewinne über den Mundraum. Dies geschieht durch das Stillen, durch den Schnuller und später durch die Wahrnehmung von Dingen, indem sie diese in den Mund stecken. Auch über die Haut werden unter anderem durch Streicheln wichtige positive sinnliche Erfahrungen gemacht.

Ab dem Zeitpunkt, an dem Säuglinge ihre Bewegungen steuern können, gehört die Erforschung des eigenen Körpers dazu. Das Erkunden und „Herumspielen“ an den Genitalien empfinden bereits Kleinkinder als lustvoll und gehört zur sexuellen Entwicklung dazu. Diese, manchmal auch gegenseitigen Erfahrungen, sind ein wichtiger Bestandteil unserer Geschlechtsidentität und Sexualität. 

Sexualität im beginnenden Jugendalter

Die Pubertät der eigenen Kinder ist für viele Eltern eine sehr herausfordernde Phase. Bei Mädchen stellt sich zwischen 8 und 13 Jahren der Hormonhaushalt um, bei Jungen im Schnitt ein Jahr später. Die eigenen Kinder verändern sich körperlich und werden immer erwachsener. Innerlich befinden sie sich oft in einem Zwiespalt zwischen „erwachsen sein wollen“ und dem Bedürfnis nach Nähe und Geborgenheit der Familie. Dies führt nicht selten zu Konflikten zwischen Eltern und Kindern. 

Auch das gegenseitige Interesse rückt nun vermehrt in den Vordergrund und ist für die sexuelle Entwicklung wichtig. So werden die ersten “Schmetterlinge im Bauch” losgelassen und der erste Kuss ist auch nicht mehr fern. Erste Beziehungen werden eingegangen, irgendwann möchten die Jugendlichen auch bei ihrem Partner übernachten. All dies birgt auch Konflikte innerhalb der Familie. Die Jugendlichen machen einen riesigen Sprung in ihrer sexuellen Entwicklung. Mädchen werden zu Frauen und können eigene Kinder bekommen. Jungen werden zu Männern und können Kinder zeugen. Hiermit müssen die Jugendlichen umgehen lernen.  

Sexualität und Behinderung  

Aussagen wie “Sexualität? Hat mein Kind nicht.” sind bei Eltern mit Kindern mit Behinderungen mittlerweile nicht mehr so häufig wie vor etwa 30 Jahren, aber es gibt sie weiterhin. 

Warum ist dieses Thema so schwierig? Ein kurzer Erklärungsansatz.

Das Thema Sexualität ist bis heute ein Thema, über das insgesamt wenig offen gesprochen wird. Die Entwicklung von Internet und Digitalität bietet zwar mehr Möglichkeiten, Zugriff auf sexuelle Inhalte zu erhalten, aber trotzdem bleibt es ein Tabuthema. Auch die Aufklärung in den Schulen ist eher funktional ausgerichtet und löst bei vielen immer noch Unbehagen aus. So ist das Thema Sexualität bei Menschen mit und ohne Behinderung ein schwieriges Thema, das noch viel Zeit und Arbeit bedarf.

Leider ist gerade auch bei Menschen mit Behinderungen die Aufklärungsarbeit meistens nicht gut. Erschwerend kommt hinzu, dass einige Eltern ihr Kind gut behüten. Manchmal so gut, dass sie alle Dinge, die “Probleme” verursachen könnten, bewusst oder auch unbewusst von ihren Kindern fernhalten. Dazu gehört auch immer wieder das Thema "Erwachsen werden", Sexualität und die damit verbundene Aufklärung. Diese Themen bedeuten für einige Eltern zusätzliche Probleme, die nicht sein müssen. Somit wird die Sexualität des eigenen Kindes, das zum Erwachsenwerden dazugehört, oftmals nicht oder nicht ausreichend thematisiert. Dadurch kann es zu Problemen kommen, die sich meistens schädigend auf die psychische Entwicklung des Kindes auswirken. Sexualität gehört zum Leben dazu, es kann und soll nicht vermieden werden. Man kann lernen richtig damit umzugehen.

Sexualität in den Medien, ganz getreu dem Motto „sex sells“, vermittelt oft ein falsches Bild von Sexualität. Oft findet eine einseitige sexualisierende Darstellung von Mädchen und Frauen statt. Dadurch besteht die Gefahr, dass verzerrte Rollenbilder aufrechterhalten werden. Aufklärung ist daher umso wichtiger, denn durch sie wird die Fähigkeit vermittelt solche Inhalte kritisch zu betrachten. 

Gute Aufklärung und sexuelle Bildung ist wichtig!

Zuerst sollte man sich eingestehen, dass die Sexualität des eigenen Kindes etwas ist, was auf jeden Fall auf einen zukommen wird. Auch die eigene Rolle als Aufklärer sollte man sich bewusst machen. Wenn einem das Thema unangenehm oder man selbst nie richtig aufgeklärt worden ist, sollte man sich Unterstützung holen.
Es gibt mittlerweile sehr viel Literatur über Aufklärungsarbeit und Sexualerziehung. Auch speziell für Mädchen und Jungen mit Behinderungen, unter anderem von der Lebenshilfe in leichter Sprache. Weiterhin gibt es Hilfs- und Beratungsstellen, bei denen man sich Rat holen kann. Für Mädchen und junge Frauen gibt es zum Beispiel das Angebot „Mädchen sicher inklusiv“.

Die Aufklärung von Kindern spielt eine wichtige Rolle. Es ist wichtig, dass sie rechtzeitig Antworten auf ihre Fragen bekommen. Das gilt für Kinder ohne und mit Behinderungen gleichermaßen.
Heutzutage findet Aufklärung in der Regel zwar statt, meistens aber viel zu spät. Dies betrifft auch Schulen, Tagesstätten und Wohnheime für Menschen mit Behinderung. Aufklärung muss geschehen, bevor ein Kind erwachsen wird und sich aktiv für Liebe, Sex und Verhütung interessiert.

Sprich offen mit deinem Kind und beantworte seine Fragen. Kinder fragen viel und interessieren sich ohne Scheu für Dinge im Leben, auch für die eigene Sexualität. Selbst wenn Du mal keine Antwort parat haben solltest, nimm dir die Zeit und recherchiere mit deinem Kind gemeinsam. Auch wenn Du dir unsicher bist, wie man richtig aufklärt und was die richtigen Themen sind, kannst Du dir bei Beratungsstellen Rat und Hilfe holen (beispielsweise bei pro familia). Diese Stellen haben oft geeignetes Material und Tipps, die Du dir mitnehmen kannst.

Leider kommt es immer wieder vor, dass Menschen mit Behinderung sexuelle Gewalt erleben. Es gibt Anlaufstellen an die Du dich wenden kannst, unter anderem:

   • https://www.wege-aus-der-gewalt.de/
   • https://www.suse-hilft.de/de/
   • https://www.weibernetz.de/

Auf der Seite Ben & Stella gibt es Informationen dazu in Leichter Sprache. Auf dieser Seite geht es um Gefühle, um das Recht auch „Nein“ zu sagen, um Aufklärung über den Körper, man findet Anlaufstellen bei denen man sich Hilfe holen kann und es wird auch erklärt, was sexueller Missbrauch ist. Es ist wichtig, dass Jungen und Mädchen lernen, was das bedeutet, um grenzverletztendes Verhalten erkennen und einordnen zu können.

Das Bedürfnis nach und das Erleben von Sexualität sollte daher nicht von Eltern oder Betreuern weggeschoben und Menschen mit Behinderung nicht bevormundet werden. Viele erleben nur im Rahmen von Pflege körperlichen Kontakt und Nähe. Sexuelle Bildung, Aufklärung und die Ermöglichung von Sexualität ist wichtig, um auch in diesem Lebensbereich Selbstbestimmung zu ermöglichen.

Sexualassistenz

Im Rahmen von passiver Sexualassistenz werden Personen darin unterstützt, körperliche Nähe, Intimität und Sexualität erleben zu können:

  • Hilfe bei der Partnersuche
  • Beschaffung von Sexspielzeug oder Verhütungsmitteln
  • Organisation einer Sexualbegleitung

Sexualbegleitung  

Neben der passiven Sexualassistenz gibt es auch die aktive. Dabei kann zum Beispiel ein Paar beim Erleben von Sexualität unterstützt werden, da es aufgrund einer Körperbehinderung auf Unterstützung angewiesen sind. Auch können Menschen darin unterstützt werden, ihren eigenen Körper zu erleben und zu spüren, indem man Selbstbefriedung unterstützt und ermöglicht.

Es gibt aber auch die Möglichkeit, dass Menschen mit Behinderung erotische und sinnliche Momente erleben können, ohne dass sie einen festen Partner haben.

Sexualbegleiter können Menschen mit Behinderung eine Zeit von Erleben, Ausprobieren, Spüren, miteinander in Kontakt sein, Zärtlichkeit, Körperkontakt, Nähe und Nacktheit und auch sexuelle Erfahrungen geben. 

Konkret bedeutet das, dass der Klient einen Sexualbegleiter engagiert und bezahlt. Dieser kommt dann beispielsweise für eine Stunde nach Hause oder in die Wohneinrichtung. Der Sexualbegleiter geht auf die Wünsche und Bedürfnisse des Klienten ein. Er legt sich ins Bett, streichelt den Klienten, lässt sich streicheln und berühren, gibt Zärtlichkeit. Für manche Sexualbegleiter ist ein Zungenkuss und Geschlechtsverkehr ausgeschlossen, bei anderen ist das möglich. 
Um den Unterschied zur Prostitution klarzumachen, spricht das Institut zur Selbstbestimmung Behinderter e.V. daher von einer „Surrogatpartnerschaft“, also einer Art Ersatzpartnerschaft, in der nicht die sexuelle Handlung im Mittelpunkt stehe, sondern die gemeinsam verbrachte Zeit.

In der Dokumentation „Die Berührerin“ in der ZDF Mediathek erhältst Du Einblick in die Arbeit einer Sexualbegleiterin. 

Kontakt- und Partnerschaftsvermittlungen

Es gibt auch geschützte Kontakt- und Partnerschaftsvermittlungen für Menschen mit Behinderung, wie beispielsweise die Seite herzenssache.net

Es bieten auch einige Lebenshilfen Partnervermittlungen an. Weiteres hierzu erfährst Du auf der Seite des Bundesverbands der Lebenshilfe

Weiterführende Informationen
Quellenverzeichnis
Bildquellen
  • https://stock.adobe.com/de/images/male-and-female-gender-symbols-on-a-black-background-with-space-for-text/171787058
  • https://www.istockphoto.com/de/vektor/barrierefreie-symbol-gm507450661-45604780