Aktion Mensch - dieser Name steht für die Hilfe und Unterstützung von Menschen mit Behinderung. Seit nun mehr 60 Jahren verkauft diese Organisation Lose und tut gutes. Viele von uns hatten, oder haben vielleicht auch eines. Bei der Gründung nannte man Aktion Mensch noch Aktion Sorgenkind. Menschen mit Behinderung lebten ja in der Gründungszeit noch ziemlich fern ab der Gesellschaft. Man schämte sich teilweise, weil die Kinder nicht perfekt waren. Doch es waren auch seinerzeit bereits schon die Selbstvertreter die hinausgingen und sagten, dass sie kein Mitleid wollen. Sie wollten einfach nur Respekt. So kam vor 30 Jahren auch der Wandel in der Einstellung zu den „Sorgenkindern“. Fortan waren es nicht mehr die Objekte der gesellschaftlichen Fürsorge, sondern die Betroffenen wurden selbstbewusst und agierten immer mehr selbst bestimmt. Im Jahr der Gründung 1964, war unsere Gesellschaft eine noch völlig andere. Menschen mit sichtbaren Behinderungen fehlten im Alltag, fehlten auf der Straße, sie wurden oftmals entweder noch versteckt, oder in Einrichtungen mehr oder weniger verwahrt. Es ist fast absurd wenn man auf Contergan und seine Folgen verweist. Es war aber genau diese Problem, mit dem sich die Gesellschaft plötzlich auseinandersetzen musste. Rund 5000 Neugeborene wurden mit Fehlbildungen geboren und man redete offen darüber. Im ZDF informierte Hans Mohl über das Thema. Einige von uns werden sich noch an ihn erinnern. Er war es auch, der über die seinerzeit noch unwürdigen Bedingungen in den Kinderheimen berichtete. Die Bilder der „Verwahranstalten“ lösten in unserer Gesellschaft etwas aus. Ganz Deutschland wurde mit einer Realität konfrontiert, der man sich im Vorfeld gar nicht bewusst war und mit der man sich nicht identifizieren wollte. So reagierte das ZDF und ergriff die Chance Gutes sinnvoll in die Wege zu leiten. Eine Fernsehlotterie die helfen sollte und man dabei sogar noch gewinnen kann. So ganz alleine war das ZDF aber nicht unterwegs und schnell schlossen sich dann auch die Wohlfahrtsverbände dieser Idee an. Auch Tom Mutters ( Gründer der Lebenshilfe) war nicht nur in der Idee involviert, sondern bis heute hat die Lebenshilfe einen festen Platz in den Gremien von Aktion Mensch. Bis heute wurden so annähernd 5 1/2 Milliarden Euro erwirtschaftet.
Es dauerte dann aber noch etliche Jahre, bis aus dem durch Mitleid spenden, ein Spenden aus Respekt gegenüber des Lebens der Menschen mit Behinderung wurde. Erst 1994 ging man an unser Grundgesetz und ergänzte den Artikel 3 Absatz 3 mit der Formulierung: Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
1998 förderte die Aktion Sorgenkind zum ersten Mal den Protesttag der Menschen mit Behinderung. Ich selbst war damals in Aschaffenburg dabei. Mit der Selbsthilfegruppe für Anfallskranke Kinder und Jugendliche im Raum Aschaffenburg, hatten wir einen Stand mit Infomaterial und einer Buttonmaschine. Wir waren junge Eltern, wir hatten den Mut für unsere Kinder einzutreten. Wir wollten sie einfach als gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft etablieren.
Seit dem Jahr 2000 nennt sich Aktion Sorgenkind nun Aktion Mensch.
Auch wenn heute bereits 30 Jahre seit der Änderung des Grundgesetzes vergangen sind, werden Menschen mit Behinderung immer noch im Alltag diskriminiert. Der Shut Down, den Corona und die staatlich angeordneten Sicherheitsmaßnahmen mit sich brachten, hat gerade die Menschen mit komplexer Behinderung wieder völlig aus dem Blickfeld verschwinden lassen. Das Bundesteilhabegesetz sollte jetzt eigentlich die Verbesserung mit dem Recht auf Selbstbestimmung und selbst bestimmtes Leben geben. Doch bereits im Vorfeld zeichnete sich ab, dass es wohl für die Menschen mit einem höheren Hilfebedarf allenfalls ein Recht auf dem Papier bleiben könnte. Wir stecken vielleicht mitten in einer Zeitenwände und Werte werden wieder in Frage gestellt. Wir stecken in einer wirtschaftlichen Krise, das Volk erhebt seine Stimme und Krisen rufen immer mehr Ängste hervor. Das Wort Egoismus steht im Raum und wie gehen wir damit um? Respektieren und /oder akzeptieren, Worte die zunehmend schwer zu vermitteln scheinen.
Die Schwerpunkte von Aktion Mensch liegen heute bei den Themenfeldern von Inklusion und Selbstbestimmung, dazu soll die Teilhabe in allen Bereich gefördert und damit auch irgendwann erreicht werden.
Diese uneingeschränkte Teilhabe rückt für Menschen mit komplexer Behinderung in eine immer weitere Ferne. Für eine uneingeschränkte Teilhabe braucht es auch Respekt vor dem Leben mit einer komplexen Einschränkung. Wohl gehören die Menschen auf dem Papier dazu, aber man beginnt ihnen gerade wieder die Teilhabe Möglichkeiten, die generell und sowieso mehr als begrenzt waren, aus möglichen und zunehmend dringlichen Einsparungsmaßnahmen zu entziehen. Eigentlich könnten wir Angehörigen schon wieder von unseren Sorgenkindern sprechen. Wir machen uns zunehmend Sorgen was aus ihnen wird, wenn wir sie nicht mehr versorgen können.
Der Weg ist das Ziel.
Quellenangabe Lebenshilfe Zeitung Nr. 4/45