Wann wird Teilhabe wieder möglich sein?

Das Thema Impfung wird sehr unterschiedlich angegangen. Da gibt es die einen, die kämpfen vehement um eine bevorzugte Impfung, Petitionen werden angelegt, bzw. die Liste der Prioritäten immer wieder angepasst. Eine Kategorisierung ist eben gar nicht so einfach. Es gibt aber auch die anderen mit leisen Tönen. Sie sind nämlich froh, weil ihr Kind Angehöriger noch nicht mit dem Impfen dran ist und man noch Zeit zum Überlegen hat. Dann gibt es auch noch die, die sich auf die Impfung freuen und natürlich und mit gutem Recht die, die mit klarem Nein agieren. Wenn wir bei uns selbst bleiben und für uns entscheiden, ist das eigentlich eine Ausübung eines Grundrechts.

Wie aber verhält es sich, wenn wir für andere mit entscheiden müssen? Wir reden immer von Selbstbestimmung und Teilhabe, aber gerät nicht gerade bei dem Thema „Impfung“ dieses jahrelang erkämpfte Recht ins Wanken? Stecken wir als Eltern und Betreuer nicht in einem Dilemma? Wissen wir, wie unser Kind, oder unser zu Betreuender entscheiden würde, wenn er vor der Entscheidung stehen würde? Wie stellen wir uns eigentlich die Entwicklung der Öffnung von Einrichtungen im teilstationären, oder auch stationärem Bereich vor? Ich bin gerade dabei, mir eine Lösung für mein Kind vorzustellen und sehe absolut noch keine Möglichkeit, wann Teilhabe für ihn wieder zur Realität wird. Wohl wurde mein Sohn bereits das erste Mal geimpft und die zweite Impfung steht in der kommenden Woche bevor. Klar ist wohl auch dieses Risiko trotzdem erkranken zu können, aber dann mit (hoffentlich) milderem Verlauf. Gut, aber was ist mit dem Personal und den Mitbewohnern, die nicht geimpft wurden, werden dürfen, oder eben aus persönlichen Gründen wollen? Wenn jetzt seit einem Jahr die stationären Einrichtungen teilweise aus Sicherheitsgründen, nach wie vor isoliert werden, wie verhält es sich dann künftig nach vollzogener (Teil) Impfung? Dürfen Geimpfte wieder vollständig teilhaben? Mein Sohn wieder in seine schmerzlich vermisste Tagesförderstätte zurückkehren können? Was passiert dann aber mit den Nichtgeimpften? Werden sie auf eigene Verantwortung, auch wieder vollständig teilhaben können? Wenn nicht, müssen sie dann in häuslicher Umgebung auf ewig bleiben, oder in der Wohngruppe isoliert von Mitbewohnern? Wie viel mehr Personal wird nötig sein, wenn man künftig unterscheiden müsste, wer mit wem zusammen sein darf, oder bleiben einfach, was die einfachste Lösung erscheint, alle in Isolation? Ich habe mir im Vorfeld dutzende Male die Frage gestellt: „Wie würde mein Sohn für sich entscheiden, wenn er es könnte?“

Mein erster Impuls, ich gebe es zu, war: Nicht impfen, Bewohner sind doch sowieso isoliert, warum dann impfen? Ich habe mir Gedanken darüber gemacht, warum denn gerade Menschen mit Behinderung und alte Menschen, wie in so einer Art Versuchsprogramm durchgeimpft werden sollen? Meinungen von Passanten, bestärkten dieses: Lass mal es die anderen, wenn es gut geht, dann lasse ich mich auch impfen. Dann folgten viele Gespräche, viel Literatur, viele aufklärenden Worte. Meine eigene Isolation im häuslichen Bereich, ließ mich zu einer Erkenntnis kommen, die mir eine Entscheidung leichter werden ließ. Ich habe gemerkt, dass auch ich selbst nur wieder mit gutem Gewissen an der Gemeinschaft teilhaben kann, wenn ich mich impfen lasse. Zeitgleich kam mir der Gedanke, dass das gleiche auch für mein Kind gelten würde. Dieses Recht auf Teilhabe, welches so schwer erkämpft wurde, darf ich ihm nicht wegnehmen, wegnehmen lassen, oder auch infrage stellen. Mit dieser Erkenntnis wurde leichter und ein klares Ja zur Impfung steht seit dem für mich. Die erste Impfung meines Kindes ist gut gegangen, wie es die zweite Impfung übersteht, werde ich erst nächste Woche wissen.
Niemand sollte und kann gezwungen werden. Aber niemand darf und sollte fremdbestimmt sein. Ich bin froh, dass ich weder seitens der Einrichtung, der Politik, noch aus der Familie unter Druck gesetzt wurde. So konnte ich frei und wohlüberlegt entscheiden.
Ich wünsche allen Eltern und Betreuern, dass sie für sich und ihren zu Betreuenden den Weg finden, der für sie der richtige erscheint. Vielleicht helfen meine Zeilen ein wenig dabei. Ich habe auch sehr große Angst im Vorfeld vor der Entscheidung gehabt. Ich habe auch ein flaues Gefühl im Magen, wenn ich an meine eigene Impfung denke. Ich habe auch noch Fragen, was denn letztendlich der richtige Wirkstoff für einen ist. Aber ich möchte wieder raus in die Gesellschaft. Und alles was ich mir wünsche, möchte ich auch für meine Angehörigen gesichert wissen.

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