Hilfe wegen Antrag auf Grundsicherung bei Erwerbsminderung - eine Odyssee mit dem Sozialamt

Hallo liebes Forum,

wir sind so langsam hier richtig am Verzweifeln und ich weiß nicht mehr weiter, wir machen gerade eine Odyssee mit dem Sozialamt durch. Jetzt wird es lang:
Wir haben einen Antrag auf Grundsicherung bei Erwerbsminderung beim hiesigen Sozialamt Mitte März gestellt. Dieser wurde an das Jobcenter weitergeleitet, obwohl aus den beigefügten medizinischen Unterlagen und ärztlichen Gutachten und ärztlichen Attest hervorgeht, dass bei unserer Tochter auf Grund ihrer schweren geistigen Behinderung bei Mehrfachbehinderung keine Erwerbsfähigkeit dauerhaft vorliegt.
Das Jobcenter hat uns dann einen Antrag auf Bürgergeld für unsere Tochter zu gesandt.
Ich habe dem Jobcenter schriftlich mitgeteilt, dass unsere Tochter keinen Anspruch auf Bürgergeld hätte, wohl aber auf Leistungen der Grundsicherung und das Jobcenter deshalb nicht zuständig wäre mit der Bitte um einen Zurückverweis an das Sozialamt.
Wir wurden telefonisch vom Jobcenter informiert, dass sich die Sache „Antrag auf Bürgergeld“ erledigt hätte und dies wieder an das Sozialamt Witten zurückgeschickt werde.
Nun haben wir vom Sozialamt weitere Unterlagen zum Ausfüllen erhalten: einen „Antrag auf Sozialhilfe“ mit Erklärung zu persönlichen Verhältnissen, Einkommens und Vermögenserklärung und Mietbescheinigung, die der Vermieter ausfüllen soll. In dem Schreiben vom Sozialamt heißt es, um ihren Antrag weiter bearbeiten zu können, benötige ich die nachfolgend aufgeführten Unterlagen bzw. Angaben - den als Anlage beigefügten Antrag auf Hilfe zum Lebensunterhalt, Nachweis über eine weiterhin bestehende Kranken und Lebensversicherung , Mietvertrag …“ Ich verstehe nicht, warum wir jetzt einen „Antrag auf Sozialhilfe“ ausfüllen müssen, wo wir doch den Antrag auf Grundsicherung gestellt haben und dort schon alle Vermögensverhältnisse und persönliche Verhältnisse ausgefüllt haben. Ich verzweifle langsam hier und weiß nicht mehr, was ich machen soll. Vor allem versteh ich nicht, warum wir einen Antrag auf Sozialhilfe jetzt bekommen haben.

liebe Grüße
Sabine

Hallo Sabine,
manchmal kann man das Gefühl bekommen, Behörden machen dies mit System um Ansprüche abzuwimmeln und die Leute zu zermürben. Nicht ins Bockshorn jagen lassen der erste Antrag ist der Schwerste, danach wird es einfacher und die Nachweise und Formulare die man möchte wesentlich weniger.

Die erste Bewilligung der Grundsicherung wegen vollständiger, dauerhafter Erwerbsminderung unseres Kindes dauerte geschlagene 11 Monate und man sandte uns zunächst einen Sozialhilfeantrag zu und forderte auf dies für alle im Haushalt lebenden Personen auszufüllen, was ja garnicht nötig und nicht zulässig war.

Eine Erklärung zu den Vermögensverhältnissen mussten wir auch für die Grundsicherung ausfüllen und du schreibst das ihr das im Rahmen des Antrags für eure Tochter auch schon gemacht habt.
Ist eure Tochter alleine versichert (wenn sie in einer Werkstatt für behinderte Menschen arbeitet ist sie ja alleine pflichtversichert) oder ist sie noch bei euch familienversichert
(falls sie eine Tagesförderstätte oder noch die Schule besucht)?
Eine Mitgliedsbescheinigung der Krankenkasse ist ja relativ schnell und unkompliziert besorgt.

Ansonsten würde ich mich direkt an das Sozialamt wenden und fragen, warum ihr jetzt einen Antrag auf Sozialhilfe ausfüllen sollt, wenn ihr doch den anderen Antrag auf Grundsicherung schon vollständig ausgefüllt habt. Grundsätzlich dürfen nur Daten erhoben werden, die zur Bearbeitung des Antrags relevant sind.
Die Ämter haben ja auch eine recht umfassende Beratungspflicht, allerdings scheinen die Menschen dort das häufig zu vergessen.

Gibt es vielleicht bei euch eine EUTB= ergänzende unabhängige Teilhabeberatung, die euch beraten und unterstützen könnte? https://www.teilhabeberatung.de/

Eigentlich sollte das Amt jetzt bei der Rentenversicherung ein Gutachten anfordern, ob eine dauerhafte, vollständige Erwerbsminderung vorliegt.
Besucht eure Tochter schon eine Werkstatt für behinderte Menschen oder eine Tagesförderstätte? Dann ist das Gutachten nicht mehr erforderlich, sondern damit schon der Beweis erbracht, dass diese vorliegt.
Siehe hier:
§ 45 SGB XII

Kennst du schon unseren Fachbeitrag zum Thema? https://community.intakt.info/t/was-ist-die-grundsicherung/8873
und den Ratgeber des BVKM zur GrundsicherungRatgeber BVKM zur Grundsicherung

Ich hoffe, das hilft euch noch ein wenig weiter. Wichtig ist Ruhe und klaren Kopf zu bewahren.
Viel Kraft und guten Erfolg.

LG
amai

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Hallo Amai,

vielen Dank für deine Antwort. Nee ins Bockshorn jagen lassen, auf keinen Fall :). Unsere Bewilligung wird wahrscheinlich länger dauern fürchte ich , da wir ja zuvor schon an das Jobcenter verwiesen wurde und wir jetzt auch einen Sozialhilfeantrag zugeschickt bekamen, trotz Erstantrag auf Grundsicherung. Ich habe gestern mich mit den ganzen Gesetzestexten herumgeschlagen und festgestellt, dass meine Tochter gar kein Anspruch auf Sozialhilfe hätte, da ja die Grundsicherung Vorrang hat vor Sozialhilfe. Ich habe jetzt einfach dem Sozialamt geschrieben , dass wir diesen deswegen nicht stellen können, da wir einen Antrag auf Grundsicherung gestellt haben und ein ärztliches Gutachten von der Agentur für Arbeit uns recht gibt, dass unsere Tochter eine voraussichtliche dauerhafte volle Erwerbsunfähigkeit hat. Na mal schauen. Musstet ihr auch einen Mietvertrag und Mietbescheinigung vom Vermieter vorlegen. Schlimm finde ich auch immer wieder diese Fristen, von nur zwei Wochen.
Meine Tochter ist noch Schülerin, sie geht aber im Herbst in die Werkstatt und dort in den Förderbereich. Ach ja sie ist auch noch Familienversichert, das haben wir schon mit der Krankenkasse abgeklärt. EUTB kenne ich auch schon, aber diese kennen sich ja soweit ich weiß in rechtlichen Dingen nicht so aus. Auf den § 45 haben ich in meinem Schreiben auch schon hingewiesen. Danke für die Hinweise auf die Fachbeiträge, ich kannte sie schon , den BVKM Ratgeber habe ich schon vor Antragstellung aufgesogen. Aber es ist schon immens , was wir alles hier leisten müssen als Eltern eines gerade erst 18 jähre alten behinderten Kindes, das ist echt der Wahnsinn.

Vielen Dank noch mal für deine aufmunternden Worte.

liebe Grüße

Sabine

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Hallo Sabine,

hier ist die EUTB Amberg und ich habe heute erst eine Broschüre der BVKM vor mir gehabt darin steht, bezüglich angehende Werkstatt:

  1. Sind Menschen im Eingangsund
    Berufsbildungsbereich der
    WfbM grundsicherungsberechtigt?
    Diese Frage ist zurzeit sehr umstritten.
    Nach Auffassung des bvkm sowie anderer
    Behindertenverbände folgt aus
    dem eindeutigen Wortlaut und der
    Systematik von § 45 Satz 3 Nr. 3 SGB
    XII, dass bei Personen im Eingangsbzw.
    Berufsbildungsbereich ebenso
    wie im Arbeitsbereich der WfbM vom
    Vorliegen einer dauerhaften vollen
    Erwerbsminderung auszugehen ist
    und sich deshalb eine Prüfung dieser
    Anspruchsvoraussetzung durch den
    Rentenversicherungsträger erübrigt.
    Im Ergebnis hat die Vorschrift nach
    dieser Auffassung zur Folge, dass der
    betreffende Personenkreis grundsicherungsberechtigt
    ist. Die Sozialgerichte
    Augsburg (Urteil vom 16.
    Februar 2018, Az. S 8 SO 143/17)
    und Gießen (Beschluss vom 30. April
    2018, Az. S 18 SO 34/18 ER) vertreten
    diese Rechtsauffassung ebenfalls.
    Das Bundesministerium für Arbeit
    und Soziales (BMAS), das für die
    Grundsicherung weisungsberechtigt
    ist, ist dagegen anderer Ansicht. In
    seinem an die obersten Landessozialbehörden
    gerichteten Rundschreiben
    2017/3 vom 3. Juli 2017 hat es mitgeteilt,
    dass die Dauerhaftigkeit der
    vollen Erwerbsminderung erst nach
    Beendigung des Berufsbildungsbereichs
    durch den Fachausschuss der
    WfbM festgestellt werden könne.
    Im Klartext heißt das: Menschen mit
    Behinderung, die den Eingangs- oder
    Berufsbildungsbereich einer WfbM
    durchlaufen, haben nach Auffassung
    des BMAS keinen Anspruch auf
    Grundsicherung. Sie könnten, wenn
    man dieser Ansicht folgt, lediglich
    unter bestimmten Voraussetzungen
    einen Anspruch auf Sozialgeld nach
    dem SGB II oder auf Hilfe zum Lebensunterhalt
    nach dem SGB XII haben.
    Abkürzungsverzeichnis
    Az. Aktenzeichen
    BFH Bundesfinanzhof
    BMAS Bundesministerium für Arbeit
    und Soziales
    BSG Bundessozialgericht
    BTHG Bundesteilhabegesetz
    bvkm Bundesverband für körper- und
    mehrfachbehinderte Menschen
    LSG Landessozialgericht
    OLG Oberlandesgericht
    qm Quadratmeter
    RBEG Regelbedarfsermittlungsgesetz
    RBS Regelbedarfsstufe
    SGB II Sozialgesetzbuch II (Grundsicherung
    für Arbeitssuchende)
    SGB XII Sozialgesetzbuch XII (Sozialhilfe)
    WfbM Werkstatt für behinderte
    Menschen
    Hinweis: Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass
    bei der Schreibweise aus Gründen der Lesbarkeit
    die männliche Form verwendet wird. Die Texte
    beziehen sich auf Frauen und Männer.
    Grundsicherung nach dem SGB XII
    Merkblatt für Menschen mit Behinderung
    und ihre Angehörigen

    von Katja Kruse
    31
    Der Versuch, das BMAS zu einer Abkehr
    von dieser Rechtsauffassung zu
    bewegen, ist leider nicht gelungen. In
    seinem Schreiben an den bvkm vom 5.
    Februar 2018 hält das BMAS an seiner
    Ansicht fest. Im selben Schreiben wird
    aber eine mögliche Gesetzesänderung
    in dieser Frage in Aussicht gestellt.
    Hinweis
    Solange sich an der derzeitigen
    Rechtslage nichts ändert, werden die
    Sozialämter weiterhin Grundsicherungsanträge
    von Personen, die den
    Eingangs- oder Berufsbildungsbereich
    der WfbM durchlaufen, ablehnen.
    Gegen Ablehnungsbescheide sollte
    deshalb fristgerecht Widerspruch eingelegt
    werden. Angesichts der hierzu
    bislang ergangenen Rechtsprechung
    sind diese durchaus erfolgversprechend.
    Einen Musterwiderspruch gibt
    es unter www.bvkm.de.
    Hat der zuständige Rentenversicherungsträger
    bereits vor Beginn des
    Eingangsverfahrens festgestellt, dass
    eine dauerhafte volle Erwerbsminderung
    vorliegt, bleibt diese Feststellung
    mit Eintritt in eine WfbM
    erhalten. Wurde also z.B. bereits
    während der Schulzeit bei einem
    volljährigen Menschen mit Behinderung
    festgestellt, dass er dauerhaft
    voll erwerbsgemindert ist, erhält er
    auch nach dem Übergang in das Eingangsverfahren
    der WfbM weiterhin Grundsicherung.

Falls ich ihnen die komplette Broschüre senden soll schreiben sie einfach eine E-mail an sebastian.freyer@eutb-bayern.org

LG
Sebastian Freyer, EUTB Amberg

Hallo Sebastian,

dies ist schon veraltet, es gibt da jetzt eine neue Rechtsprechung dank des Entlastungsgesetzes (01.01.2020)

"Mit dem vom Bundestag beschlossenen “Gesetzes zur Entlastung unterhaltsverpflichteter Angehöriger in der Sozialhilfe und in der Eingliederungshilfe“ wurde § 41 SGB XII dahingehend geändert, dass

Personen, die das 18 Lebensjahr vollendet haben, für den Zeitraum, in dem

sie

  1. in einer Werkstatt für behinderte Menschen (§ 57 des Neunten Buches) oder bei einem anderen Leistungsanbieter (§ 60 des Neunten Buches) das Eingangsverfahren und den Berufsbildungsbereich durchlaufen oder

  2. in einem Ausbildungsverhältnis stehen, für das sie ein Budget für Ausbildung (§ 61a des Neunten Buches) erhalten

leistungsberechtigt nach dem Vierten Kapitel des SGB XII sind. " (Quelle: https://www.segeberg.de/PDF/Sozialhilfe_und_Grundsicherung_für_Arbeitssuchende_Vorrang_Nachrang_Regelungen_und_Kosten_Hinweise_zur_Durchführung_.PDF?ObjSvrID=3466&ObjID=507&ObjLa=1&Ext=PDF&WTR=1&_ts=1635946640 )

bei uns betrifft das auch den Zeitraum davor, also ab dem 18. Geburtstag als Schülerin, da muss das Sozialamt die deutsche Rentenversicherung zur Feststellung einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung ersuchen. — Leider . ich bin froh, das wir eine ärztliche Stellungnahme von der Bundesagentur für Arbeit haben, die eine volle dauerhafte Erwerbsminderung genau bestätigt, die werde ich jetzt einreichen und gucken was passiert.

Sebastian, aber danke dir für deinen Hilfe!

liebe Grüße

Sabine

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Vielen Dank auch von seiten intakt.info, lieber Sebastian Freyer.
Die liebe Sabine drücken wir die Daumen und Licht am Ende des Tunnels. Ich habe es auch selbst gerade mit meinem Neffen durch. Man wird hin- und her geschickt und fragt sich, was es denn mit dem Bürokratieabbau wirklich auf sich hat.

Liebe Grüße
Kirsten

Liebe Sabine,
ich kenne deine Situation. Unser Kind wurde letztes Jahr auch 18 und ist noch ein Schulkind. Diese Gesamtthematik kommt vielleicht jetzt noch stärker auf die Eltern zu, da durch Corona ggf das ein oder andere Kind eine längere Schulzeit haben könnte.

Unser Antrag dauerte von Anfang Juli 22 bis Ende Nov 22. Zuständig war das Sozialamt. Es wurde Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach dem vierten Kapitel SGB XII gewährt. Es erfolgte eine Nachzahlung ab Antragsdatum. Befristet für ein Jahr. Dann ist bei uns ein erneuter Antrag fällig. Das Rentenversicherungskonto eines Schülers kann idR noch keine Versicherungszeiten enthalten. Demzufolge scheitert der Anspruch auf Erwerbsminderungsrente bereits daran, das die versicherungsrechtlichen Voraussetzung zur Gewährung der Erwerbsminderungsrente nicht erfüllt sind. Demzufolge sind als „Zahler der Leistung“ in der geschilderten Situation sowohl das Jobcenter als auch die Rentenversicherung (befristet) aus dem Spiel .

Das Antragformular lautete bei uns " Antrag auf Gewährung von Leistungen …nach SGB VII Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ( Formular 041-3727 S (Bayern)) . Dies ist ein Sammelformular für die Beantragung vieler Leistungen. Wir haben uns sehr wohl überlegt welche Fragen beantworten werden müssen, haben die Notwendigkeit der ein oder anderen Datenerhebung bei der Behördenmitarbeiterin noch mal hinterfragt. Die Vermögenssituation des minderjährigen Geschwisterkindes ist z.B. nicht notwendig.

Das Amt hat aber nochmals eigenständig bei der Rentenkasse nachgefragt, ob denn nicht doch die Möglichkeit einer Erwerbsminderungsrente bestünde. Dazu ist die Behörde leider verpflichtet.

Aber Ende gut, alles gut. Leider nur für ein Jahr. Mit der sich veränderten beruflichen Entwicklungen (Schulverlängerung, erster Arbeitsmarkt, Werkstatt, TAFÖ) wird leider immer von Jahr zu Jahr neu entschieden aus welchem Topf die Mittel gezahlt werden.

Vielleicht könnte Intakt oder andere mal hier ein Schaubild zum beruflichen Übergang samt zuständiger Finanztöpfe und Ämter erstellen unter Berücksichtigung vom Lebensalter, Einrichtungen incl. Schule/Berufsschule/Berufsschulphase usw - auch unter dem Gesichtspunkt längere Schulzeit durch Corona, längerer Rückstellungen vor der Einschulung mit der Folge eines höheren Lebensalters auch in der Schulzeit.

Ich hoffe ich konnte mit meiner Schilderung weiterhelfen.

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