Diagnose Fibrodysplasia ossificans progressiva (FOP) - und nun?

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Diagnose Fibrodysplasia ossificans progressiva (FOP) - und nun?

Stand: 01.07.2024

Du bist hier gelandet, weil dein Kind die Diagnose Fibrodysplasia ossificans progressiva (FOP) erhalten hat oder Du dich einfach über die seltene Erkrankung informieren möchtest. In diesem Fachbeitrag möchten wir dir einen ersten Überblick über FOP geben und dir Informationen dazu bereitstellen. Obwohl jedes Kind einzigartig ist, gibt es einige Merkmale, die bei der Diagnose häufiger auftreten. Darüber hinaus erhältst Du hilfreiche Tipps, wie Du dein Kind unterstützen kannst.

Bildquelle: © adimas - stock.adobe.com 

 

Falls es noch nicht lange her ist, dass Du diese Diagnose für dein Kind erhalten hast, empfehlen wir dir zu Beginn den Fachbeitrag "Dein Kind hat eine Behinderung? Erste Informationen und Anlaufstellen." zu lesen oder unser Video "Eine Diagnose - vom Suchen und Finden." auf YouTube anzuschauen. In diesen bekommst Du wichtige Informationen und Hinweise zu den ersten Schritten nach einer Diagnosemitteilung. 

Was ist FOP?

FOP (Fibrodysplasia ossificans progressiva; früher auch Münchmeyer-Syndrom genannt) ist ebenfalls unter dem Namen Myositis ossificans multiplex progressiva (MOP) bekannt. FOP lässt sich in etwa so beschreiben, dass sich Muskel-, Binde- und Stützgewebe unaufhörlich fortschreitend in Knochen verwandeln. FOP ist eine sehr schwere, seltene vererbte Krankheit.

Wie äußert sich FOP?

Bei der Geburt gibt es fast keine Anzeichen auf FOP. Einzige Ausnahme ist eine Fehlbildung des großen Zehs, der oft verkrümmt und kürzer ist. In der frühen Kindheit entstehen schmerzhafte Schwellungen an den Skelettmuskeln, die dann vom Körper in Knochen umgeformt werden. Diese Schwellungen werden sehr häufig fälschlicherweise als Tumore diagnostiziert. Als Folge der Umformung werden die Gelenke quasi „versteinert“. Die Beweglichkeit der Gelenke kann nach der "Versteinerung" nicht mehr wiedergewonnen werden.  

Der neu entstandene Knochen darf keinesfalls entfernt werden, da es sonst zu erneutem explosionsartigen Wachstum der Knochen führt. Sogar leichte Stöße, Prellungen, Impfungen oder Spritzen zur Zahnbehandlung können dazu führen, dass sich Muskeln in Knochen verwandeln.

Wie häufig kommt FOP vor?  

FOP ist eine der weltweit seltensten Krankheiten. Weltweit sind ungefähr 700 Fälle bekannt und die Häufigkeit liegt bei 1 : 2.000.000. Das Geschlecht hat keine Auswirkung auf die Wahrscheinlichkeit von FOP.

Was sind Ursachen von FOP?  

Die Ursache ist eine Mutation im ACVR1-Gen (auch bekannt als ALK2-Gen). Dieses Gen ist ein bestimmter Abschnitt von DNA in unseren Zellen und enthält Anweisungen, wie man einen Rezeptor namens Activin A-Rezeptor Typ I produziert. Der Rezeptor ist wie ein Empfänger für die Zellen. Er nimmt Signale außerhalb der Zelle auf und hilft der Zelle zu verstehen, was sie tun soll. Die spezielle Mutation im ACVR1-Gen ist eine Art Fehler. Sie betrifft einen Punkt im Gen namens 617G>A, was bedeutet, dass an dieser Stelle im Gen ein G durch ein A ersetzt wird. Dadurch ändert sich ein Teil des Rezeptors (R206H). Durch diese Mutation wird der Activin A-Rezeptor Typ I (ACVR1) verändert und bleibt dauerhaft aktiviert, selbst wenn er nicht aktiviert sein sollte. Dadurch kann es zu ungewolltem Knochenwachstum kommen.

Zahlreiche Wissenschaftler weltweit erforschen weiterhin FOP und arbeiten an neuen Behandlungsmöglichkeiten. Auf der Seite des FOP e.V. findest Du aktuelle Informationen zur FOP Forschung.

Wie ist der Krankheitsverlauf bei FOP?

Das „P“ in FOP steht für das Wort progressiva, was bedeutet, dass es eine fortschreitende Krankheit ist. Es gibt noch keine Möglichkeit das Fortschreiten der Erkrankung aufzuhalten. Die Betroffenen sind von ihrer Geburt an mit der Krankheit konfrontiert. Dies bedeutet jedoch nicht, dass ihnen sofort in den ersten Tagen zusätzliche Knochen wachsen.

FOP folgt beim Fortschreiten der Krankheit einem festen Schema. Die ersten Extraknochen wachsen im Nacken- und Schulterbereich. Die Nächsten weiten sich auf den Rücken aus. Später sind die Hüften und die Beine betroffen. Der Verlauf ist „von oben nach unten, von hinten nach vorn, vom Rückgrat zu den Gliedmaßen, von körpernah zu körperfern, von jung zu alt“, wie es Richard B. Steele, Vater eines an FOP erkrankten Mädchens, vereinfacht beschreibt.

FOP wird häufig in den ersten zehn Lebensjahren erkannt, wobei sich die ersten Symptome während der ersten beiden Lebensjahrzehnte zeigen. Versteifungen im oberen Rumpfbereich treten vor allem in der Kindheit auf, wohingegen die Verknöcherungen der Hüften und der Beine vermehrt während der Pubertät und dem frühen Erwachsenenalter auftreten.

Bevor eine Verknöcherung auftritt, bekommt der Betroffene an dieser Stelle eine Schwellung, die sehr oft schmerzhaft ist und sich warm anfühlt. Diese Schwellung kann in Folge eines 6 - 8 Wochen lang andauernden Schubes auftreten. FOP-Betroffene berichten, dass sich die Schwellungen von Kindern von denen der Erwachsenen unterscheiden. Bei jungen Patienten findet man häufiger knotenförmige Schwellungen, bei Erwachsenen eher flächige Schwellungen, die sich über ganze Gliedmaßen verteilen und keine deutlichen Knoten bilden.

Wenn Ärzte die FOP jedoch noch nicht diagnostiziert haben, entnehmen sie häufig eine Gewebeprobe aus der Schwellung. Durch diese Verletzung des Gewebes, wird der momentane Zustand des Patienten verschlimmert. Die schmerzhaften Läsionen (= Schädigungen, Verletzungen, Störungen) werden oft fälschlicherweise als Tumor diagnostiziert.

Zur allgemeinen Überraschung verheilen diese Läsionen, indem sie Knochengewebe bilden. Durch unvermeidbare Verletzungen wächst dem FOP-Betroffenen im Laufe seines Lebens ein „zweites Skelett“, das ihn in seiner Motorik stark einschränkt.

Der FOP-Knochen, der durch eine Verletzung neu gebildet wird, unterscheidet sich nicht von anderen Knochen. Auch dieser kann brechen und weist Knochenmark auf. Er stört jedoch vielmehr, als dass er eine sinnvolle Funktion erfüllt.

Der Körper eines Betroffenen bildet nicht pausenlos neue Knochen. Es können Wochen, Monate oder sogar Jahre ohne neues Knochenwachstum vergehen. Wann und an welcher Stelle sich neues Knochenmaterial bildet, hängt vom genetischen Bauplan jedes Einzelnen ab. Meist treten die Extraknochen, so genannte heterotopische Knochen, nach Läsionen des Gewebes auf. In manchen Fällen bleiben Verletzungen jedoch auch ohne Folgen. Es kann nicht genau gesagt werden, wann, wo und wie oft sich die Extraknochen bilden, deswegen müssen die Betroffenen sehr sorgsam auf ihren Körper achten.

Auffallend ist, dass einige Bereiche frei von Verknöcherungen bleiben. Die Muskeln des Zwerchfells, der Zunge, der Augen, des Gesichtes und auch die Muskeln des Herzens werden nicht befallen.

Kann FOP vererbt werden? 

Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Paar, in dessen Familie noch nie ein Fall von FOP bekannt war, ein Kind bekommen könnte, das von FOP betroffen ist, liegt bei 1:2 Millionen. Sollte in einer Familie FOP vorkommen, heißt dies nicht, dass die Nachkommen in zweiter oder dritter Generation ebenfalls erkranken müssen. Den Forschern ist bisher nur eine Familie bekannt, in der vollkommen gesunde Eltern zwei Kinder bekommen haben, die an FOP erkrankt sind. Warum das so ist, wissen die Ärzte momentan noch nicht, arbeiten aber intensiv daran, dies in Erfahrung zu bringen. Möchte ein Betroffener eigene Kinder bekommen, liegt die Wahrscheinlichkeit bei 50 %, dass das Kind mit FOP zur Welt kommen wird.

Neben dem hohen Risiko FOP an ein Kind weiterzugeben, ist die Schwangerschaft für eine Betroffene sehr gefährlich. Aufgrund der Erkrankung kann sich der Körper der Frau nicht dem Wachstum des Kindes im Mutterleib anpassen. Die schon von Knochen überwucherten Organe hätten, zusammen mit dem Ungeborenen, nicht ausreichend Platz im Körper und es könnte zu lebensbedrohenden inneren Verletzungen kommen.

Gesundheitliche Auswirkungen

Aufgrund der Knochenverwachsungen um den Brustkorb leiden die Patienten häufig unter Atemschwierigkeiten. Die Lunge eines gesunden Menschen im Schnitt 4,5 Liter. Bei Betroffenen kann das Volumen auf 2,5 Liter sinken. Die schlechtere Durchlüftung der Lunge kann zu häufigeren Lungenentzündungen führen.

Die Versteifung des Kiefergelenkes führt zu Problemen bei der Nahrungsaufnahme. Das führt in den meisten Fällen wiederum zu einer Unterernährung. Die Versteifung der Gelenke kann bei Stürzen eine erhebliche Gefahr darstellen, denn Abfangbewegungen sind nicht möglich und in Folge des ungebremsten Sturzes können schwere Schädel-/Hirnverletzungen auftreten. Diese drei Risikofaktoren können die Lebenserwartung senken. Eine zusätzliche Beeinträchtigung des Herzens durch den verknöcherten Brustkorb wäre zu erwarten, jedoch gibt es bislang keine eindeutigen Hinweise darauf.

Es kann gesagt werden, dass die durchschnittliche Lebenserwartung von Menschen mit FOP bei 40 Jahren liegt. Allerdings gibt es auch einige Patienten, die bereits älter als 60 Jahre sind. Es ist somit von Mensch zu Mensch unterschiedlich.

Gibt es Therapiemöglichkeiten? 

Derzeit gibt es keine Therapie für FOP und auch keine Möglichkeit zur Verhinderung der Schübe. Forscher arbeiten derzeit jedoch an der Neuentwicklung von Medikamenten, die weitere FOP-Schübe verhindern oder deren Wirkung verringern sollen. 

Für die Linderung von Schmerzen können bei akut auftretenden Schüben entzündungshemmende Medikamente eingenommen werden. Bei Schüben im Bereich des Rumpfes oder Rückens wird eine Behandlung mit nichtsteroidalen Antiphologistika (NSAID) empfohlen. Manchmal wird eine spezielle Art von Medikamenten, genannt Kortikosteroide, verwendet, um die Entzündung und Schwellung zu reduzieren, die in den frühen Stadien von FOP auftreten können. Die Therapie mit diesen Medikamenten erfolgt über einen kurzen Zeitraum von 4 Tagen. Sie hilft jedoch nur, wenn sie sehr früh, innerhalb der ersten 24 Stunden nach dem Auftreten der Probleme, begonnen wird. Idealerweise haben Betroffene die Medikation für 4 Tage zuhause vorrätig. Alternativ ist auch eine Stoßbehandlung mit stationärer Aufnahme möglich. Diese Medikamente können die Entzündung und Schwellung verringern, was den Betroffenen helfen kann, sich etwas besser zu fühlen und die Symptome in den frühen Stadien der Krankheit zu mildern. Da es sich bei Kortikosteroiden jedoch um extrem starke Entzündungshemmer handelt, bringt dieses Medikament auch einige Nebenwirkungen mit sich und sollte nicht über einen längeren Zeitraum angewendet werden. 

Die Nebenwirkungen und mehr über das Medikament kannst Du auf der Seite msdmanuals.com nachlesen. Physiotherapeutische Maßnahmen müssen bei einem Schub nicht grundsätzlich eingestellt werden. Ob vorsichtige, entzündungshemmende Maßnahmen, wie beispielsweise eine Kältetherapie sinnvoll sind, sollte von Fachleuten abgeklärt werden.

Der Betroffene sollte im Optimalfall von einem interdisziplinären Team begleitet werden. Die Therapien sollten bevorzugt von FOP-vertrauten Ärzten durchgeführt werden, die sich nach den internationalen Leitlinien zur Behandlung von FOP richten.

Auf der Seite des FOP e. V. findest Du weitere Informationen über den aktuellen Stand der Forschung. 

Auf was sollte bei der Behandlung von Menschen mit FOP geachtet werden? 

Grundsätzlich sollten invasive Eingriffe (also Eingriffe, die in den Körper eindringen), wenn möglich, vermieden werden, da diese neue Schübe auslösen können. 

  • Injektionen
    Spritzen direkt in den Muskel, so genannte intramuskuläre Injektionen, müssen vermieden werden, da der Einstich eine minimale Verletzung des Muskelgewebes verursacht und einen Krankheitsschub auslösen kann. Solche Injektionen sind unter anderem Schutzimpfungen und lokale Betäubung. Injektionen unter die Haut, so genannte subkutane Injektionen oder Impfungen, sind weniger risikoreich.
     
  • Zahnarzt
    Unvermeidbar sind regelmäßige Besuche beim Zahnarzt. Das Kiefergelenk ist charakteristischerweise eines der letzten Gelenke, das versteift. Betroffene verschiedener Altersgruppen berichten, dass jedoch vor allem nach Zahnarztbesuchen Komplikationen im Kiefergelenk auftraten. Die Verabreichung einer lokalen Betäubung bei einer zahnärztlichen Behandlung muss unbedingt vermieden werden. Patienten berichten, dass bereits wenige Tage nach der Behandlung Versteifungen auftraten, die zum dauerhaften Verlust der Kieferbeweglichkeit führten.
     
  • Chirurgische Eingriffe
    Ein chirurgischer Eingriff bedeutet, dass das Skelett- und Muskelsystem verletzt wird. Die Verletzung des Körpergewebes löst Vorgänge zur Bildung von Extraknochen aus. Folglich kann von jeglicher Art einer chirurgischen Maßnahme nur abgeraten werden. Allerdings gibt es lebenswichtige Notfälle, bei denen man sich für eine Operation entscheiden muss.
    Oft fragen Patienten mit FOP bei Orthopäden nach, ob zusätzlich gewachsene FOP-Knochen operativ entfernt werden können. Dies könnte natürlich durchgeführt werden, doch hätte der Eingriff nur einen kurzzeitigen Erfolg. Diese Verletzung des Gewebes und das Herausnehmen des Knochens würde ein solch großes Trauma für den Körper bedeuten, dass er kurze Zeit später eine noch stärkere Verknöcherung bilden würde.

Grundsätzlich sollten bei FOP jährlich Termine zur Verlaufskontrolle festgesetzt und bei hoher Krankheitsintensität noch häufiger durchgeführt werden.

Welche Schule ist für mein Kind mit FOP geeignet?  

FOP betrifft den Körper und nicht die kognitiven Fähigkeiten oder die Intelligenz.

Gegen Ende der Kindergartenzeit sollten Eltern überlegen, wo und an welcher Schule sie ihr Kind einschulen lassen möchten. Die Auswirkungen von FOP sind in den ersten Jahren noch nicht so schwerwiegend. Deshalb ist der Besuch einer Regelschule in den meisten Fällen unproblematisch. Es sollte jedoch darauf geachtet werden, dass das Gebäude wenige Treppen besitzt und der Klassenraum ebenerdig zu erreichen ist. Ein wichtiger Aspekt ist dabei auch sich mit dem Rektor und den Lehrern auszutauschen und gemeinsame Wege zu finden, wie ein Schulbesuch gelingen kann. Die Mitschüler des Kindes müssen ebenfalls aufgeklärt und informiert werden.

Sollte FOP schon weiter fortgeschritten und das Kind in seiner Mobilität schwer eingeschränkt sein, können andere Beschulungsmöglichkeiten in Betracht gezogen werden, wie beispielsweise eine Förderschule mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung oder eine Assistenz durch einen Schulbegleiter.

Das sagen Betroffene

Auf dieser Seite des FOP e.V. findest Du Berichte aus dem Leben von Menschen mit der Diagnose FOP. 
In diesem YouTube-Video des Kanals LOUDRARE berichtet Nadine von Ihrem Leben mit der FOP Diagnose, den langen Weg dort hin, den überflüssigen Behandlungen und den Sorgen ihrer Eltern.

Weiterführende Informationen
Quellenverzeichnis
Bildquellen