Jugend- und Erwachsenenalter
Welche Schule ist die richtige für mein Kind mit Behinderung?
Stand: 15.07.2025 - Autor: Hanna Schäfer
Die Einschulung ist für viele Familien ein großer Schritt – und häufig auch eine Herausforderung. Gerade bei einem Kind mit Behinderung ist sie oft mit vielen Unsicherheiten verbunden und so stellt sich die Frage: Welche Schule ist die richtige? In Bayern gibt es viele verschiedene Möglichkeiten – von sonderpädagogischen Förderzentren bis hin zu inklusiven Schulen. Doch dabei ist gar nicht so leicht zu überblicken, was überhaupt alles möglich ist – und was rechtlich gilt. Im Folgenden bekommst du einen Überblick über die verschiedenen Beschulungsformen, deine Rechte als Elternteil und darüber, wo Du Unterstützung und Beratung findest.
Was sagt das Gesetz zur inklusiven Beschulung?
Alle Kinder haben ein Recht auf Bildung – und zwar gemeinsam.
Das steht auch in der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK, Art. 24). Deutschland hat dieser Vereinbarung im Jahr 2009 zugestimmt und sich damit verpflichtet, ein inklusives Schulsystem zu schaffen. Das bedeutet: Kinder mit und ohne Behinderung sollen gemeinsam lernen können – in einer Schule für alle. Wie das umgesetzt wird, entscheiden die Bundesländer. Denn Bildung ist in Deutschland Ländersache. Jedes Bundesland regelt selbst, wie das Schulsystem aussieht und wie die inklusive Beschulung organisiert wird. In Bayern ist das vor allem im Bayerischen Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) festgelegt. Darin ist geregelt, dass Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf sowohl an allgemeinen Schulen (inklusiv) unterrichtet werden können als auch an Förderzentren mit speziellen Schwerpunkten. Eltern sollen dabei mitentscheiden können, welcher Weg für ihr Kind der passende ist.
Sonderpädagogischer Förderbedarf und Förderschwerpunkte
Ein sonderpädagogischer Förderbedarf kann festgestellt werden, wenn ein Kind besondere Unterstützung benötigt, um in der Schule gut lernen und sich entwickeln zu können. Dafür wird fachlich überprüft, ob ein solcher Förderbedarf tatsächlich vorliegt. Dieses Verfahren beginnt häufig bereits vor der Einschulung – zum Beispiel, wenn der Kindergarten einen entsprechenden Bedarf sieht oder Du selbst das Gefühl hast, dein Kind braucht besondere Unterstützung. Es kann jedoch auch jederzeit während der Schulzeit eingeleitet werden.
Eine Lehrkraft des Mobilen Sonderpädagogischen Dienstes (MSD) führt eine umfassende Diagnostik durch. Auf dieser Grundlage wird ein sonderpädagogisches Gutachten erstellt. Darin wird festgelegt, welche Unterstützung dein Kind braucht – und welcher Förderschwerpunkt vorliegt.
Es gibt in Bayern folgende Förderschwerpunkte:
- Emotionale und soziale Entwicklung
- Geistige Entwicklung
- Hören
- Körperliche und motorische Entwicklung
- Lernen
- Sehen
- Sprache
Die Feststellung des Förderschwerpunkts ist wichtig: Sie hilft dabei zu entscheiden, welche Schulform infrage kommt und wie ein individueller Förderplan für dein Kind aussehen kann.
Sonderpädagogische Förderzentren (SFZ)
Eine mögliche Beschulungsform stellen sonderpädagogische Förderzentren (SFZ) dar, die auf bestimmte Förderschwerpunkte ausgerichtet sind. Im Gegensatz zur inklusiven Beschulung an allgemeinen Schulen ist der Besuch eines SFZ eine nicht-inklusive Beschulungsform. Das bedeutet, dein Kind lernt hier in einer Klasse mit anderen Kindern, die ebenfalls einen sonderpädagogischen Förderbedarf haben. Bayern verfügt über ein sehr breit ausgebautes Angebot an Förderzentren, die auf die unterschiedlichen Förderschwerpunkte spezialisiert sind.
In einem Förderzentrum arbeiten unter anderem sonderpädagogische Lehrkräfte sowie Ergänzungskräfte (zum Beispiel Schulbegleitungen, Therapeuten). Die Klassen sind meist deutlich kleiner als in Regelschulen, was eine individuellere Betreuung ermöglicht. Der Unterricht orientiert sich nicht immer am Lehrplan der allgemeinen Schulen, sondern oft an den eigenen, vom Kultusministerium erlassenen Lehrplänen, die speziell für den jeweiligen Förderschwerpunkt entwickelt wurden.
Die Vorteile eines sonderpädagogischen Förderzentrums liegen in der hohen Spezialisierung und der individuellen Förderung durch Fachpersonal in einer auf den Förderschwerpunkt ausgerichteten Umgebung. Darüber hinaus sind in einem Förderzentrum oft Aspekte wie die schulvorbereitende Einrichtung (SVE), therapeutische Angebote und Tagesstätten miteinander vereint, sodass eine ganzheitlich Betreuung und Förderung unter einem Dach ermöglicht wird.
Beim Besuch eines Förderzentrums können vielfältige Abschlüsse erworben werden; welcher Abschluss erreicht werden kann, hängt maßgeblich von der Art des besuchten SFZ und den individuellen Fähigkeiten deines Kindes ab. Dazu zählen anerkannte Abschlüsse der allgemeinen Schule (zum Beispiel Mittelschulabschluss), spezifische Abschlüsse des Bildungsgangs Lernen (mit Benotung), sowie eine Beschreibung der individuell erreichten Lernziele und Kompetenzen (ohne Benotung).
Inklusive Beschulungsmöglichkeiten
Neben der Beschulung in Sonderpädagogischen Förderzentren (SFZ) gibt es in Bayern auch inklusive Beschulungsformen. Hier lernen Kinder mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf gemeinsam an der allgemeinen Schule. Diese Möglichkeiten sind im Bayerischen Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG, Art. 30a & 30b) geregelt.
In Bayern sind folgende inklusive Beschulungsformen möglich:
- Einzelinklusion
- Kooperationsklassen
- Partnerklassen
- Offene Klassen
- Schulen mit dem Profil Inklusion
- Tandemklassen
Was verbirgt sich hinter den Begriffen?
Einzelinklusion: Dein Kind mit festgestelltem sonderpädagogischen Förderbedarf besucht hier eine Regelklasse an einer allgemeinen Schule (zum Beispiel Grundschule, Mittelschule, Realschule, Gymnasium). Diese Schule erhält Unterstützung durch die MSD, die in manchen Fällen auch ergänzend Fördereinheiten anbieten können. Je nach Bedarf kann auch eine Schulbegleitung zum Einsatz kommen.
Kooperationsklassen: Diese Klassen sind ebenfalls an einer allgemeinen Schule angesiedelt. Sie bestehen aus 3 bis 6 Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf und einer je nach Bedarf ausgewogenen Anzahl an Kindern ohne Behinderung, wobei die normale Klassenstärke beibehalten wird. Eine allgemeine Lehrkraft stellt dabei die Klassenleitung und wird stundenweise von einer Lehrkraft des MSD unterstützt.
Partnerklassen: Bei dieser Form ist eine Klasse eines Förderzentrums räumlich an einer allgemeinen Schule untergebracht. Formal gehört dein Kind weiterhin zum SFZ. Ziel ist es, Partnerschaften mit Klassen der allgemeinen Schule zu fördern – zum Beispiel durch gemeinsame Projekte, Unterrichtseinheiten oder Freizeitaktivitäten. Diese Form der Zusammenarbeit soll Begegnung und gemeinsames Lernen ermöglichen. Es handelt sich dabei um eine Art Außenklasse des Förderzentrums. Auch die umgekehrte Situation, dass eine Klasse einer allgemeinen Schule an einem Förderzentrum untergebracht ist, ist möglich.
Offene Klassen: Diese befinden sich an wenigen ausgewählten Förderschulen und sind explizit für Kinder ohne sonderpädagogischen Förderbedarf geöffnet. Sie werden oft von Eltern gewählt, deren Kinder von den speziellen Rahmenbedingungen und der individuellen Förderung der Förderschule schulisch und persönlich profitieren sollen.
Schulen mit dem Schulprofil Inklusion: Das sind allgemeine Schulen, die sich gezielt und konzeptionell der Inklusion verschrieben haben und das Profil für ein besonders inklusives Bildungs- und Erziehungskonzept erhalten haben. An ausgewählten Grund- und Mittelschulen mit diesem Profil sind Lehrkräfte der Sonderpädagogik fester Bestandteil des Kollegiums und arbeiten eng mit den Lehrkräften der allgemeinen Schule zusammen, um alle Schülern optimal zu fördern. An Schulen mit Schulprofil Inklusion können auch Tandemklassen gebildet werden.
Tandemklassen: Diese Klassenform ist für Kinder mit einem sehr hohen sonderpädagogischen Förderbedarf gedacht. Eine Klasse wird hier von einem Lehrertandem unterrichtet, das aus einer Lehrkraft der allgemeinen Schule und einer Lehrkraft der Sonderpädagogik besteht. In solchen Klassen sind neben den Schülern ohne Förderbedarf mindestens 7 Kinder mit einem sehr hohen sonderpädagogischen Förderbedarf untergebracht.
Elternwahlrecht in Bayern
In Bayern gibt es also verschiedene Möglichkeiten, Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu beschulen – sowohl an Förderschulen als auch an allgemeinen Schulen. Welche Form besser passt, hängt ganz von deinem Kind, eurer Familiensituation und den vorhandenen Unterstützungsangeboten ab. Wichtig dabei zu wissen: Als Elternteil hast Du in Bayern grundsätzlich das Recht zu entscheiden, ob dein Kind eine Förderschule oder eine allgemeine Schule besuchen soll. Dieses Elternwahlrecht ist ein zentraler Bestandteil der schulischen Inklusion.
Allerdings gibt es eine Einschränkung: Den sogenannten Ressourcenvorbehalt. Das heißt: Eine inklusive Beschulung an der gewünschten Schule ist nur möglich, wenn die nötigen Rahmenbedingungen auch wirklich vorhanden sind – also zum Beispiel ausreichend Personal, passende Räume oder spezielle Hilfsmittel. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, entscheidet die zuständige Schulaufsicht, welcher Lernort geeignet ist.
Damit der beste Weg für dein Kind gefunden werden kann, ist es sinnvoll, frühzeitig das Gespräch zu suchen – mit den Lehrkräften, dem MSD, den möglichen Schulen, Beratungsstellen und nicht zuletzt deinem Kind selbst. So kann eine Lösung gefunden werden, die zu den individuellen Bedürfnissen und Lernvoraussetzungen deines Kindes passt.
Wechselmöglichkeiten und Durchlässigkeit – Keine Entscheidung für die Ewigkeit
Auch nach der Einschulung ist nichts in Stein gemeißelt. Vielleicht entwickelt sich dein Kind so, dass eine andere Schulform mit der Zeit besser passt – zum Beispiel ein Wechsel von der Förderschule an eine allgemeine Schule. Oder es braucht in einem bestimmten Schuljahr mehr individuelle Unterstützung und wechselt in eine Schulform, die diese Förderung gezielter leisten kann. In Bayern ist das grundsätzlich möglich. Ein zentrales Prinzip des Schulsystems ist die Durchlässigkeit. Das bedeutet: Der Weg zurück in die Regelschule bleibt offen – genauso wie ein Wechsel in ein anderes inklusives Modell oder ein spezielleres Förderangebot. Ziel ist es, die Schullaufbahn an dein Kind anzupassen – nicht umgekehrt.
Wichtig ist: Du als Elternteil bist immer mit im Boot. Ein Schulwechsel wird nie „einfach so“ entschieden, sondern geschieht gemeinsam mit dir und Fachleuten.
Fazit – Welcher Weg passt zu meinem Kind?
Bei der Frage nach der geeigneten Schulform geht es nicht um richtig oder falsch. Weder inklusive noch nicht-inklusive Schulformen sind grundsätzlich besser oder schlechter. Unterschiedliche Kinder haben unterschiedliche Bedürfnisse – und was für das eine Kind funktioniert, ist für ein anderes vielleicht nicht passend. Manche Kinder profitieren von den kleineren Klassen und spezialisierten Angeboten an Förderschulen, andere fühlen sich in inklusiven Settings besser aufgehoben.
Um herauszufinden, welche Schulform am besten geeignet ist, ist es hilfreich, im Austausch zu bleiben – mit Lehrkräften, dem MSD, den Fachkräften aus Kindergarten oder SVE und vielen weiteren Fachpersonen. Du musst diese Entscheidung nicht alleine treffen. Und: Es ist kein endgültiger Entschluss. Wenn Du im Laufe der Zeit merkst, dass sich die Bedürfnisse deines Kindes verändern, kannst Du gemeinsam mit den Beteiligten über einen Wechsel nachdenken. Das bayerische Schulsystem ist durchlässig – und bietet Möglichkeiten, den Weg deines Kindes individuell zu gestalten.
Wir haben dir im Folgenden eine Auswahl an Beratungsangeboten zusammengestellt, die dich beim Entscheidungsprozess unterstützen können.
Beratungsangebote
- Mobiler Sonderpädagogischer Dienst: Wende dich hierfür direkt an das Förderzentrum in deiner Nähe – der MSD ist dort angebunden und kann direkt von dir oder gegebenenfalls über die Schule deines Kindes angefragt werden.
- Ergänzende Unabhängige Teilhabeberatung (EUTB)
- Verfahrenslotsen der Städte und Landkreise in Bayern
- Inklusionsberatungsstellen am Schulamt deiner Stadt oder deines Landkreises in Bayern: Wende dich an das Schulamt deines Wohnortes und frage nach der Inklusionsberatungsstelle – dort bekommst Du Unterstützung bei allen Fragen rund um inklusive Beschulung und individuelle Fördermöglichkeiten.
- Kooperationsschulrat deines Schulamtsbezirks: Den Kooperationsschulrat erreichst Du über das zuständige Schulamt – dort wirst Du zur Schulwahl, zum Einschulungsverfahren und zu Förderangeboten beraten.
- Schulberatungsstelle deines Regierungsbezirks: Die Schulberatungsstelle deines Regierungsbezirks bietet dir Beratung bei schulischen Fragen, auch zur Einschulung, Schullaufbahn oder bei sonderpädagogischem Förderbedarf – Du findest die Kontaktdaten auf der Website deiner Bezirksregierung.
- Adressdatenbank intakt.info: Hier findest Du wichtige Anlaufstellen und Kontaktadressen aus ganz Bayern
Weiterführende Informationen
- Website Ergänzende Unabhängige Teilhabeberatung mit bayernweiten EUTB-Stellen
- Website bayerische Schulberatungsstellen
- Informationen MSD Unterfranken
- Netzwerk Inklusion Bayern mit regionalen Kontaktpersonen für Erstberatung
- Portal Schulsuche des Kultusministeriums, um Schulen vor Ort ausfindig zu machen und deren Beratungsangebote wahrzunehmen
Quellenverzeichnis
- https://www.lwl.org/lja-download/datei-download-schulen/UN_Konvention_fuer_die_Rechte_von_Menschen_mit_Behinderungen_Inklusion/Inklusive_Beschulung/Tagungsdoku/1288330256_0/UN-Konvention_Artikel_24.pdf
- https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayEUG-30a
- https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayEUG-30b
- https://www.km.bayern.de/lernen/schularten/foerderschulen/sonderpaedagogische-foerderschwerpunkte
- https://www.km.bayern.de/lernen/unterstuetzung/inklusion