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Diagnose Williams-Beuren-Syndrom - und nun?
Stand: 05.07.2024
Vielleicht bist Du hier gelandet, weil dein Kind die Diagnose Williams-Beuren-Syndrom erhalten hat. Vielleicht suchst Du auch einfach nach Informationen zu diesem Thema. Im Folgenden erhältst Du einen ersten Überblick und bekommst einige hilfreiche Informationen. Auch wenn jedes Kind ganz unterschiedlich ist, gibt es Merkmale, die bei der Diagnose häufig auftreten. Außerdem bekommst Du ein paar Tipps, wie Du dein Kind unterstützen kannst.
Bildquelle: © Jake-jakubowski / wikipedia.org
Falls es noch nicht lange her ist, dass Du diese Diagnose für dein Kind erhalten hast, empfehlen wir dir zu Beginn den Fachbeitrag "Dein Kind hat eine Behinderung? Erste Informationen und Anlaufstellen." zu lesen oder unser Video "Eine Diagnose - vom Suchen und Finden." auf YouTube anzuschauen. In diesen bekommst Du wichtige Informationen und Hinweise zu den ersten Schritten nach einer Diagnosemitteilung.
Williams-Beuren-Syndrom – was ist das?
Das Williams-Beuren-Syndrom (kurz WBS) ist ein genetisches Syndrom. Es hat seinen Namen von den beiden Ärzten Williams und Beuren, die das Syndrom Anfang der 1960er Jahre das erste Mal beschrieben haben.
Das Syndrom entsteht schon ganz zu Beginn der Schwangerschaft, noch vor der Zellteilung. Hier ist bei einem der beiden Chromosomen Nummer 7, ein kleines Stückchen abgebrochen. Dadurch ist genetische Information verloren gegangen. Das passiert ganz zufällig und Du selbst hast das Syndrom auch nicht vererbt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Du ein zweites Kind mit WBS bekommst, oder dass ein Geschwisterkind später mal ein Kind mit WBS bekommt, ist sehr niedrig. Die Häufigkeit bei einer Geburt, dass ein WBS auftritt liegt bei 1 : 20.000.
WBS ist nicht heilbar, es ist keine Krankheit, sondern eine Veränderung im Erbgut und gehört einfach zum Menschen dazu. Mit der entsprechenden Unterstützung können Kinder mit WBS ein glückliches und selbstbestimmtes Leben führen.
Was erwartet uns?
Wie bei allen Kindern erwartet dich ein spannender, erfüllender und durchaus auch mal herausfordernder Alltag. Kinder mit WBS sind in erster Linie Kinder. Kinder, die uns bereichern, fordern, an denen wir wachsen und die wir prägen. So wie jedes Kind, hat auch dein Kind ganz individuelle Bedürfnisse, die es herauszufinden gilt und auf die man achten muss, damit das Zusammenleben gut gelingt.
Das WBS bringt einige Merkmale mit sich, die häufiger auftreten und es ist wichtig, dass Du diese als Elternteil kennst. Trotzdem solltest Du die individuellen Charaktereigenschaften deines Kindes nie aus den Augen verlieren. Dein Kind mit WBS wird viele Charakteristika aufweisen, die im direkten Zusammenhang mit dem Syndrom stehen, aber genauso viele, die nichts mit dem WBS zu tun haben.
Was sind Merkmale des WBS?
Es gibt einige Merkmale, die bei Kindern mit WBS auftreten können, aber nicht bei allen auftreten müssen. Manchmal treten bei einem Kind Merkmale auf, die zwar mit dem WBS in Zusammenhang gebracht werden, aber eher selten sind. Man kann nie vorhersagen, wie sich das WBS auf das einzelne Kind auswirkt.
Körperlicher Bereich
Menschen mit Williams-Beuren-Syndrom sehen sich oft sehr ähnlich, denn die genetische Veränderung bewirkt charakteristische Gesichtszüge: volle Wangen im Kindesalter, eine eher längliche Kopfform, breiter Mund und volle Lippen, eine flache Nasenwurzel. Viele Kinder schielen (Strabismus) und sind weitsichtig. Hier hilft ein Augenarzt weiter. Die Milchzähne sind oft sehr klein und stehen auf Lücke. Wie bei allen anderen Kindern auch sollten regelmäßige Besuche beim Zahnarzt stattfinden. Kinder mit WBS sind meist ein bisschen kleiner als ihre Altersgenossen.
Auch für die gesundheitlichen Merkmale des WBS gilt, dass die Wahrscheinlichkeit für ein Auftreten dieser Merkmale erhöht ist, sie aber nicht zwangsläufig alle gemeinsam und in gleicher Ausprägung auftreten müssen.
Fast alle Personen mit WBS haben einen typischen Herzfehler: eine Verengung der Herzschlagader (supravalvuläre Aortenstenose), die auch gemeinsam mit weiteren Gefäßveränderungen am Herzen und der Lunge (Septumdefekt, periphere Pulmonalstenose u.a.) auftreten kann. Regelmäßige Untersuchungen des Herzens und der Lunge sind notwendig, auch dann, wenn im Kindesalter kein oder nur ein geringer Befund bestand. Es ist möglich, dass sich erst im Laufe der Jahre Probleme ergeben. Menschen mit WBS sollten außerdem regelmäßig ihren Blutdruck kontrollieren, da Bluthochdruck häufiger vorkommt. Sofern jedoch keine gravierenden Stoffwechsel- oder Herzprobleme vorliegen, haben Menschen mit WBS die gleiche Lebenserwartung wie Menschen ohne WBS auch.
Neben dem Herzen und der Lunge können bei Menschen mit WBS auch andere Organe betroffen sein, beispielsweise Nieren, Harnwege oder der Verdauungstrakt. Viele Säuglinge haben in der ersten Zeit Probleme bei der Nahrungsaufnahme. Sie essen schlecht, erbrechen häufig und/oder leiden an Durchfall oder Verstopfungen. Bei den meisten Kindern legen sich diese Probleme aber mit der Zeit. Nur der Übergang zu fester, körniger Nahrung fällt vielen Kindern wegen einer Überempfindlichkeit des Mundraumes besonders schwer. Hier brauchen die Eltern viel Geduld und vielleicht die Unterstützung eines Logopäden.
Mittelohrentzündungen treten bei Kindern mit WBS häufiger auf, die Einlage eines Paukenröhrchens kann hier helfen. Auch ist eine Überempfindlichkeit für bestimmte Geräusche, z. B. das Platzen von Luftballons, Einschalten von Staubsauger oder Rasenmäher zu berücksichtigen.
Die Grob- und Feinmotorik kann bei Kindern mit WBS beeinträchtigt sein. Ergo- und Physiotherapie kann die Kinder hier unterstützen.
Kognitiver Bereich
Bei Kindern mit WBS werden oft Entwicklungsverzögerungen festgestellt. Meilensteine in der Entwicklung, wie das Laufen oder Sprechen lernen erreichen die meisten Kinder etwas später als erwartet. Durch eine individuelle Förderung kann spezifischen Lernschwierigkeiten und Aufmerksamkeitsstörungen begegnet werden. Die größten Schwierigkeiten treten bei der räumlichen Wahrnehmung auf, was das Schreiben und Rechnen lernen erschwert. Viele Kinder lernen aber das Lesen, denn visuelle Einzelheiten (wie Buchstaben) können sie gut erfassen. Menschen mit WBS können eine leichte bis schwere geistige Behinderung haben.
Ausführliche Informationen kannst Du dieser Elternbroschüre des WBS-Bundesverbandes (PDF-Download) entnehmen.
Stärken und Schwächen
So wie jedes Kind wird auch dein Kind mit WBS Stärken und Schwächen haben, Abneigungen und Vorlieben entwickeln und zu einer ganz besonderen, einmaligen Persönlichkeit werden. Die Stärken und Schwächen können von Kind zu Kind unterschiedlich sein und müssen nicht immer zutreffen.
Auch wenn die Kinder das Sprechen meist etwas später lernen, so holen sie oft schnell auf und entwickeln einen besonders reichen Wortschatz. Sie sind sehr gesprächig und haben ein Talent zum farbigen, faszinierenden Erzählen. Dennoch können sie manchmal Schwierigkeiten beim Verstehen von Gesprochenem haben.
Menschen mit WBS sind sehr kontaktfreudig und gehen gerne auf fremde Menschen zu (was durchaus auch Risiken birgt). Andere Eltern beschreiben ihre Kinder oft als besonders einfühlsam und hilfsbereit. Sie haben gerne Kontakt zu Erwachsenen und Freundschaften mit Gleichaltrigen aufrecht zu erhalten, fällt vielen schwerer.
Viele Menschen mit WBS teilen eine Leidenschaft: Die Musik. Manche erlernen ein Instrument, ohne Noten lesen zu können, andere singen und bewegen sich gerne zu Musik. Deshalb kann sich Musik auch als therapeutisches oder pädagogisches Medium anbieten.
Ängstlichkeit spielt bei vielen Kindern mit WBS eine Rolle. Nicht nur die Angst vor bestimmten, lauten Geräuschen, sondern auch eine generelle Besorgtheit kann Kinder und ihre Familien belasten. Natürlich kann, aber muss dies nicht alles auf dein Kind zu treffen.
Was können wir tun?
Es gibt verschiedene Hilfen für dein Kind mit WBS, die es im Alltag unterstützen können. Es ist immer von Kind von Kind verschieden, welche Therapien darüber hinaus nötig und hilfreich sind.
Die erste Anlaufstelle für Therapie und Förderung ist die Frühförderstelle oder das sozialpädiatrische Zentrum, deren Adressen der Kinderarzt vermitteln kann (für Bayern findest Du diese auch in unserer Datenbank). Dort werden dann gemeinsam mit dir als Elternteil und einem Team aus Fachleuten passende Therapie- und Fördermöglichkeiten gefunden. Ziel dabei sollte es immer sein, dem Kind einen selbstbestimmten Alltag zu ermöglichen.
Die Essproblematiken (Schluckschwierigkeiten, orale Überempfindlichkeit) in den ersten Jahren können oft mit Hilfe von Logopädie verbessert werden. Zudem kann eine logopädische Behandlung den verzögerten Spracherwerb positiv beeinflussen. Grob- und Feinmotorik, aber auch Wahrnehmungs- und Konzentrationsfähigkeit können mit Ergotherapie verbessert werden. Manche Kinder mit WBS zeigen eine verringerte Körperspannung oder sich wiederholende (zwanghafte) Bewegungen und nehmen deshalb eine Physiotherapie in Anspruch.
Es gibt noch viele weitere Therapie- und Fördermöglichkeiten, die für ein Kind mit WBS hilfreich sein können. Fachleute können dir hilfreiche Tipps und Tricks an die Hand geben, wie Du als Elternteil euren Alltag so gestalten kannst, dass sich dein Kind gut entwickelt.
Nimm hilfreiche Ratschläge an, aber traue dich auch, deiner eigenen elterlichen Intuition zu folgen. Schließlich kennst Du dein Kind am besten.
Wo finde ich Hilfe?
Wenn die Diagnose “Williams-Beuren-Syndrom” gestellt wird, fühlen sich viele Eltern zunächst allein gelassen mit ihren Problemen, Fragen und Sorgen. Deshalb haben sich weltweit Eltern zu Elternverbänden und Selbsthilfegruppen zusammengeschlossen.
In Deutschland sind hier besonders der Bundesverband Williams-Beuren-Syndrom e.V. und seine länderspezifischen Regionalgruppen aktiv. Auf der Internetseite bietet der Verband zahlreiche Infomaterialien, Literatur und Links an. Wir empfehlen dir die Elternbroschüre (PDF-Download) des Verbandes, dort findest Du sehr ausführlich viele Informationen rund um das WBS. Auch gibt es eine geschlossene Facebook-Gruppe, in der Du dich mit anderen Eltern austauschen kannst. Wenn Du eine Frage hast, kannst Du diese auch gerne in unserer Community stellen.
Weiterführende Informationen
- Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e.V. und die Broschüre des bvkm Mein Kind ist behindert – diese Hilfen gibt es (PDF-Download)
- Pflegetagebuch des Sozialverband Deutschland (PDF-Download)
- Das Geschwisterkinder-Netzwerk - Netzwerk für die Versorgung schwerkranker Kinder und Jugendlicher e. V.
- Informationen über Frühförderung und Frühförderstellen auf der Seite frühförderstellen.de
- Sozialpädiatrische Zentren deutschlandweit auf der Seite der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin e.V. und bayernweit auf der Seite Arbeitsstelle Frühförderung Bayern
- Informationen über Offene Hilfen in Bayern auf der Seite der Lebenshilfe (Landesverband Bayern)
- Informationen über Logopädie - Deutscher Bundesverband für Logopädie e. V.
- Informationen über Ergotherapie - Deutscher Verband Ergotherapie e. V.
- Film auf YouTube vom Bundesverbandstag des Williams-Beuren-Syndrom-e.V.
- Eine englischsprachige Dokumentation über John Duffy, einen Mann aus Amerika mit dem Williams-Beuren-Syndrom: The Mayor | Williams syndrome documentary
Quellenverzeichnis
- Pankau, R., Gosch, A., Meinecke, P., Sarimski, K., Schneppenheim, R., Weissenborn, J., Wessel A. & Partsch C.-J. (2005). Diagnostik und Therapie beim Williams-Beuren-Syndrom (WBS) – Leitlinien des wissenschaftlichen Beirats des Bundesverbands WBS. In: Monatsschrift Kinderheilkunde 153 (3), S. 273–280.
- Sarimski, K. (2014). Entwicklungspsychologie genetischer Syndrome (4., überarbeitete und erweiterte Auflage). Hogrefe.
- https://www.orpha.net/consor/cgi-bin/OC_Exp.php?Lng=DE&Expert=904
- https://www.w-b-s.de/
- https://www.w-b-s.de/assets/images/Literatur/WBS_Elternbroschuere.pdf
Bildquellen
- https://de.123rf.com/photo_107855347_williams-syndrome-written-in-a-notebook-vector-illustration.html?term=diagnosis%2Bwilliams&vti=o2xyoswrovppeq8orz-1-2