Diagnose Autismus - und nun?

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Diagnose Autismus - und nun?

Stand: 06.02.2023

Du bist auf dieser Seite gelandet, weil Du dich über die Diagnose Autismus informieren willst. Sicherlich hast Du gerade viele Fragen, auf die Du Antworten brauchst. Wir möchten dich im Folgenden mit all dem informieren und ausstatten, was Du fürs Erste wissen musst. Hier bekommst Du Informationen rund um die Diagnose.

Bildquelle: © Maria Dubova/ 123RF.com 

Falls es noch nicht lange her ist, dass Du diese Diagnose für dein Kind erhalten hast, empfehlen wir dir zu Beginn den Fachbeitrag  "Diagnose - Erstmitteilung: vom Suchen und Finden" zu lesen oder unser Video dazu auf YouTube anzuschauen. In diesen bekommst Du wichtige Informationen und Hinweise zu den ersten Schritten nach einer Diagnosemitteilung.

Autismus – was ist das? 

Der Begriff „Autismus“ beinhaltet die griechischen Wörter autos (selbst) und ismos (Zustand, Orientierung). Die Zusammenführung dieser beiden Wörter kann somit eine „Orientierung an sich selbst“ oder einen „Rückzug in das eigene Ich“ beschreiben. Der Begriff wird verwendet um eine komplexe und vielseitige neurologische Entwicklungsstörung zu bezeichnen. Da inzwischen so viele unterschiedliche Formen von Autismus diagnostiziert werden, spricht man heutzutage meist von einer „Autismus-Spektrum-Störung“ (ASS)

Autismus galt lange Zeit als eher seltene Störung. Neuere Untersuchungen ergaben jedoch, dass die Häufigkeit von Autismus weit höher liegt, als bisher gedacht. Es lässt sich jedoch nicht genau feststellen, wie viele Menschen es derzeit mit ASS in Deutschland gibt, da es sich bei den vorhandenen Zahlen meist nur um Schätzungen oder Daten aus dem Ausland handelt. Im Jahre 2008 wurde im Rahmen einer Studie in Amerika herausgefunden, dass ca. 1% der Kinder weltweit mit ASS diagnostiziert sind. Inwiefern sich diese Daten aber auf Deutschland übertragen lassen ist unklar.

Wie entsteht eine ASS?

Warum es überhaupt zu einer autistischen Störung kommt ist bis heute noch nicht vollständig erforscht. Früher hat man sogar geglaubt, dass Autismus an einer gefühlskalten Mutter liegt. Heute weiß man, dass das falsch ist und solche Sorgen nur unnötig belasten. Inzwischen ist man der Ansicht, dass die Entwicklung einer ASS genetische Gründe hat und sogar unter den kinderpsychiatrischen Störungen als die mit dem stärksten genetischen Einfluss zählt. Anders als z. B. beim Down-Syndrom gibt es jedoch nicht nur ein Gen, welches für den Autismus ausschlaggebend ist. Es ist eine Reihe von vielen verschiedenen, komplexen Genen, die eine Rolle spielen. 

Neben den genetischen Einflüssen spielen auch die biologischen Faktoren eine Rolle. Ein biologischer Risikofaktor ist zum Beispiel eine Infektion der Mutter in der Schwangerschaft oder die Einnahme von bestimmten Medikamenten während der Schwangerschaft, wie zum Beispiel Antiepileptika oder Antidepressiva. Auf der Seite embryotox.de kann nachgelesen werden, welche Medikamente in der Schwangerschaft schädlich sein können. Zudem können auch Komplikationen während der Geburt, wie z. B. Sauerstoffmangel oder Blutungen im Gehirn des Kindes zu einer ASS führen. Zum jetzigen Forschungsstand lässt sich jedoch keine hundertprozentige Aussage über die genaue Ursache von Autismus treffen. 

Wie wird Autismus unterteilt? 

Im Klassifikationssystem der ICD-11 werden die Autismus-Spektrum-Störungen den neuronalen Entwicklungsstörungen zugeordnet. Sie sind im 6. Kapitel „Psychische Störungen, Verhaltensstörungen oder neuronale Entwicklungsstörungen“ unter “neuronale Entwicklungsstörungen“ in 6A02 eingegliedert. Hierunter werden verschiedene Formen der Autismus-Spektrum-Störung unterschieden. Autismus-Spektrum-Störungen werden als Störungen der Informations- und Wahrnehmungsverarbeitung bezeichnet, die zusammenfassend durch „anhaltende Defizite in der Fähigkeit, wechselseitige soziale Interaktionen und soziale Kommunikation zu initiieren und aufrechtzuerhalten, sowie durch eine Reihe von eingeschränkten, sich wiederholenden und unflexiblen Verhaltensmustern, Interessen oder Aktivitäten, die für das Alter und den soziokulturellen Kontext der Person eindeutig untypisch oder exzessiv sind“ gekennzeichnet sind. Diese etwas komplizierte Formulierung wird gleich noch genauer erklärt. 


In der ICD-11 werden Autismus-Spektrum-Störungen unter der Kategorie der neuronalen Entwicklungsstörungen nach Ausprägung von Intelligenz und Sprache unterschieden.

Die detaillierten Diagnosekriterien kannst Du im ICD-11 auf der Seite des Bundesinstitus für Arznei und Medizinprodukte nachlesen. 

Was sind Merkmale einer ASS? 

Menschen mit ASS haben einige auffällige Verhaltensmerkmale und besondere Formen der Wahrnehmung. Grundsätzlich lassen sich die Merkmale in drei Bereichen feststellen: Soziale Interaktion mit Mitmenschen, Kommunikation, wiederholende und stereotype Verhaltensweisen.

Soziale Interaktion 

Bei Menschen mit ASS ist die Art und Weise, wie sie auf ihre Mitmenschen zugehen, eine Beziehung aufbauen oder erhalten wollen in der Regel anders. Zum Beispiel fällt es Betroffenen mitunter schwer, Blickkontakt zu halten, Körpersprache, Mimik oder Gestik zu deuten oder einzusetzen. Dies erschwert die Kontaktaufnahme zu Gleichaltrigen und führt häufig dazu, dass sich ein Beziehungsaufbau zu anderen Menschen als schwierig herausstellt. Das Theory-of-Mind Konzept besagt, dass man in gewissem Maße nachvollziehen kann, was in dem Anderen vor sich geht. Sich in andere hineinzuversetzen fällt autistischen Menschen häufig schwer, was dazu führen kann, dass diese  Gedanken, Gefühle und Ideen oft nicht nachvollziehen können. 

Erste Anzeichen autistischer Züge können manchmal schon sehr früh beobachtet werden. Im Alter von acht Monaten reagiert ein Kind normalerweise mit einem Lächeln auf das Gesicht seiner Eltern. Kinder mit ASS dagegen nehmen sehr selten Kontakt mit ihren Eltern auf, schauen diesen nicht in die Augen und lehnen Berührungen eher ab. 

Auffällig ist auch, dass Kinder mit ASS schon im frühen Alter mehr Interesse an unbelebten Gegenständen, wie z. B. Mobile oder Lichtschalter zeigen, als an Menschen. Die Kontaktaufnahme zu anderen Menschen bleibt oft gänzlich aus. Bei erwachsenen Menschen mit ASS, die über eine verbale Sprache verfügen, sind Gespräche meist nur Mittel und Zweck der Informationsweitergabe. Bei Menschen mit ASS sind die sogenannten „soft skills“, wie z. B. Teamfähigkeit, Menschenkenntnis oder Kritikfähigkeit häufig eingeschränkt, wodurch die Teamarbeit und das soziale Miteinander deutlich erschwert ist.

Kommunikation 

Bei vielen Menschen mit ASS tritt die Entwicklung der gesprochenen Sprache deutlich verspätet ein. Unter Umständen sprechen Betroffene auch gar nicht. Kommt es zur Ausbildung von verbaler Sprache, wird diese häufig sehr ungewöhnlich gebraucht. Wortneuschöpfungen, Wortrituale und ein übertrieben genauer Sprachstil finden in ihrem Sprachgebrauch häufige Verwendung. Sprachauffälligkeiten, wie z. B. wenig betontes, stockendes oder gleichklingendes Sprechen können ebenfalls auftreten. Eine veränderte Sprachmelodie und Sprachrhythmus, sowie Verwendung der Echolalie, also das ständige Wiederholen von bestimmten Wörtern, gehören auch zu den Kennzeichen des Sprachgebrauchs von Menschen mit ASS. 

Neben Problemen die passenden Worte in einer Situation zu sagen, kommt es auch zu Schwierigkeiten den Inhalt der Sprache richtig zu verstehen. Betroffene fassen das Gehörte oft wortwörtlich auf, sodass Zynismus, Sprichwörter und Ironie von ihnen nicht verstanden werden können. Dadurch kann es zu vielen Missverständnissen in der gegenseitigen Interaktion kommen. Das sogenannte soziale Imitations- oder „So tun als ob“-Spielen, welches eigentlich ein wichtiger Teil von kindlicher Kommunikation ist, ist bei Menschen mit ASS meist eingeschränkt. 

Heutzutage werden aufgrund von Schwierigkeiten in Benutzung der verbalen Sprache immer mehr Möglichkeiten der unterstützten Kommunikation angeboten. Betroffene können auf alternative Kommunikationsmittel, wie z. B. Symbolsammlungen (Metacom, PCS oder Symbolstix-Symbole), Kommunikationsbücher, Symboltafeln mit Sprachausgabe oder Talker zurückgreifen. Das Angebot unterstützter Kommunikation befindet sich in ständiger Erweiterung und erfährt immer größere Beliebtheit bei Menschen mit ASS.

Wiederholende und stereotype Verhaltensweisen

Menschen mit ASS zeigen oft, sich wiederholende Verhaltensmuster, Interessen oder Bewegungen. Hier ist beispielhaft zu nennen: das Jaktieren (Oberkörperschaukeln), motorische Manierismen (Drehen und Verbiegen der Finger), das Flattern mit den Händen, Hüpfen oder Klopfen. Es wird vermutet, dass Betroffenen diese gleichförmigen Bewegungen ein Gefühl von Sicherheit geben und sie damit Stress abbauen können. Diese Ansicht teilt auch der Autist Tito Mukhopadhyay, der in seinem Buch schreibt: „Wenn ich weiß, dass jemand mich voller Neugier beobachtet, fühle ich mich unwohl. Mein Körper reagiert sofort darauf. Ich werde hyperaktiv und wedele mit den Händen, um meinen Stress wenigstens teilweise abzureagieren“. Das ständige Wiederholen bestimmter Verhaltensweisen hat für den Betroffenen immer Sinn und Funktion, z. B. Stressabbau. Dieser Sinn ist für Außenstehende oft nicht erkennbar. 

Viele Menschen mit ASS reagieren stark auf Veränderungen und damit einhergehend ist das Festhalten an Routinen oft sehr wichtig. Selbst kleine Änderungen, wie z. B. die Verspätung des Busses oder eine andere Haarfarbe bei der Mutter können zu einer Überforderung führen, die nicht selten durch starke Reaktionen darauf sichtbar wird; etwa durch "wütende", "laute" Ausbrüche oder aber auch ganz im Gegenteil, durch Rückzug und "still werden". 

Außerdem kann beobachtet werden, dass Kinder mit ASS oft ein sehr auffälliges Interesse an nicht funktionalen Teilobjekten wie Geschmack, Gerüchen, Geräuschen, Lichteffekten oder der Beschaffenheit von Oberflächen aufzeigen. Menschen mit ASS interessieren sich oft in intensiver und besonderer Weise für bestimmte Themen, wie z. B. Fahrpläne, Dinosaurier oder Briefmarken. Diese Beschäftigung mit ganz eigenen, speziellen Themen gibt den Betroffenen ein Gefühl von Sicherheit, Vertrautheit, Vorhersehbarkeit und absoluter Zufriedenheit.

 

Menschen mit Autismus neigen häufig auch noch zu einer Reihe weiterer psychischer Begleitstörungen wie z. B. Angststörungen, Schlaf- und Essstörungen sowie fremd- bzw. selbst verletzendem Verhalten.

Was kann ich tun? 

Mit einem Kind mit ASS zu leben kann dich noch vor viele Herausforderungen stellen. Man kann das Gefühl haben überfordert und ratlos zu sein. Dein Kind nimmt diese Welt vermutlich ganz anders wahr, als Du selbst. Sieh es als Chance an deinen Horizont zu erweitern und diese für dich neue, besondere Sicht verstehen zu lernen, damit Du immer besser auf dein Kind eingehen kannst. Im Elternratgeber des Bundesverbandes Autismus (PDF-Download) findest Du einige wertvolle, konkrete Tipps zum Umgang. .

Weiterführende Informationen
  • Die Seite autismus.de hier findest Du auch einen Elternratgeber
     
  • Die Seite autismus-verstehen.de
     
  • Die Seite autismus-kultur.de
     
  • Bücher, Filme und Serien
    • Buntschatten und Fledermäuse: Mein Leben in einer anderen Welt (Axel Brauns)
    • Warum ich euch nicht in die Augen schauen kann: Ein autistischer Junge erklärt seine Welt (Naoki Higashida)
    • Snow Cake: Jedes Leben berührt ein anderes
    • Eine Auflistung vieler weiterer Bücher und Filme findest Du auf autismus.de und beim isb-Bayern
Quellenverzeichnis
  • Bölte, S. (2009). Autismus: Spektrum, Ursachen, Diagnostik, Intervention, Perspektiven. Huber.
     
  • Cholemkery, H. & Freitag, C. M. (2014). Soziales Kompetenztraining für Kinder und Jugendliche mit Autismus-Spektrum-Störungen: mit E-Book inside und Arbeitsmaterial. Beltz.
     
  • Theunissen, G., Kulig, W., Leuchte, V. & Paetz, H. (2015). Handlexikon Autismus-Spektrum: Schlüsselbegriffe aus Forschung, Theorie, Praxis und Betroffenen-Sicht.  Kohlhammer.
     
  • https://www.embryotox.de/
     
  • https://www.icd-code.de/icd/code/F84.0.html
Bildquellen
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