Diagnose Rett-Syndrom – und nun?

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Diagnose Rett-Syndrom – und nun?

Stand: 04.07.2024

Du bist vielleicht hier, weil dein Kind die Diagnose Rett-Syndrom erhalten hat, oder Du suchst einfach nach Informationen zu diesem Thema. Hier findest Du einen ersten Überblick und einige hilfreiche Informationen. Außerdem erhältst Du einige Tipps, wie Du dein Kind unterstützen kannst.

Bildquelle: iStock.com/ktaylorg 

Falls es noch nicht lange her ist, dass Du diese Diagnose für dein Kind erhalten hast, empfehlen wir dir zu Beginn den Fachbeitrag "Dein Kind hat eine Behinderung? Erste Informationen und Anlaufstellen." zu lesen oder unser Video “Eine Diagnose - vom Suchen und Finden.” auf YouTube anzuschauen. In diesen bekommst Du wichtige Informationen und Hinweise zu den ersten Schritten nach einer Diagnosemitteilung.

Rett-Syndrom – was ist das?

Das Rett-Syndrom ist eine genetisch bedingte, progressiv verlaufende (fortschreitende), neurologische Entwicklungsstörung, die fast ausschließlich Mädchen und Frauen betrifft. Das Syndrom wurde nach dem Kinderarzt Prof. Dr. Andreas Rett benannt, der das Syndrom im Jahr 1966 entdeckte. Etwa jedes zehntausendste neugeborene Mädchen erkrankt am Rett-Syndrom, das sind rund 50 Mädchen pro Jahr in Deutschland.

Wie entsteht das Rett-Syndrom?

Verursacht wird das Syndrom durch eine Spontanmutation (zufällige Veränderung) am Gen MECP2. Dieses Gen ist verantwortlich für die Steuerung von vielen anderen Genen. Da es eine Spontanmutation ist, liegt es außerhalb deiner Kontrolle, ob das Gen mutiert oder nicht. Ein mehrfaches Auftreten des Syndroms innerhalb derselben Familie ist zwar äußerst selten, jedoch ist es nicht ganz ausgeschlossen.

Es aktuell nicht heilbar, da es keine medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten gibt. Es haben sich aber Therapien und Förderkonzepte bewährt, welche die Mädchen und Frauen in ihrem Leben unterstützen können.

Verlauf des Syndroms

Der Verlauf des Rett-Syndroms kann in vier Phasen eingeteilt werden. Einen genauen Zeitpunkt für den Übergang von einer Phase in die andere gibt es nicht, da dies meist fließend geschieht.

1. Phase (6. - 18. Lebensmonat) – Stagnation

Die erste Phase ist gekennzeichnet durch die Stagnation des bisherigen, meist unauffälligen Entwicklungsverlaufes und beginnt zwischen dem 6. und 18. Lebensmonat. Bis dahin haben sich die Mädchen nach einer normalen Schwangerschaft und Geburt altersgerecht entwickelt. Sie haben das zielgerichtete Greifen, Saug- und Schluckbewegungen sowie je nach Alter auch das Sich-Hochziehen, Krabbeln, einzelne Worte oder Laufen gelernt.

Manchmal spüren Eltern schon vor dem Eintritt dieser ersten Phase, dass etwas nicht stimmt. Konkrete Anhaltspunkte gibt es zunächst aber noch keine. Erst mit dem Beginn der Phase und dem Stillstand der Entwicklung suchen Eltern gezielt nach Informationen. Dieser Stillstand der Entwicklung zeichnet sich dadurch aus, dass die Mädchen zunächst kaum mehr Entwicklungsschritte machen. Es werden Entwicklungsverzögerungen deutlich (z. B. beim Sitzen oder Krabbeln), die bis zu einem Entwicklungsstillstand führen. Diese Phase kann mehrere Monate dauern. Kennzeichnend für diese erste Phase ist auch, dass die Kinder weniger Blickkontakt suchen und weniger Interesse an Spielsachen zeigen. Auch das Kopfwachstum verlangsamt sich.

2. Phase (1. - 4. Lebensjahr) – Regression

Die zweite Phase beginnt im ersten bis vierten Lebensjahr und ist gekennzeichnet durch den Verlust vorhandener Fähigkeiten innerhalb weniger Monate. Der Übergang in die zweite Phase kann plötzlich oder allmählich einsetzen. Gekennzeichnet ist dieses Stadium durch rasante Entwicklungsrückschritte. Die Kinder verlieren bereits gelernte Wörter, den normalen Handgebrauch und ihre kommunikativen Fähigkeiten. Häufig beginnt in dieser Phase eine Epilepsie. Ebenfalls beginnen stereotype Bewegungen mit den Händen: wringende, waschende und knetende Handbewegungen. Viele Mädchen zeigen in dieser Phase autistische Züge und ein Desinteresse an ihrer Umwelt. 

3. Phase (zwischen 2. und 10. Lebensjahr) – Stabilisierung

In der dritten Phase stabilisiert sich der Zustand der Kinder wieder. Die Mädchen sind für ihre Umwelt wieder zugänglicher und machen kleine Entwicklungsfortschritte. Die geistigen und körperlichen Fähigkeiten sind jedoch weiter deutlich eingeschränkt. Die kommunikativen Fähigkeiten verbessern sich wieder. Diese Phase setzt zwischen dem zweiten und zehnten Lebensjahr ein und erstreckt sich häufig über Jahre. 
Die Mädchen scheinen wieder ansprechbarer zu sein und auch einige der vorher erworbenen grobmotorischen Fähigkeiten können sich regenerieren. In dieser Phase treten häufiger epileptische Anfälle auf. Diese können jedoch durch eine medikamentöse Behandlung deutlich reduziert werden. Die stereotypen Handbewegungen bleiben bestehen.

4. Phase (ab 10. Lebensjahr) – spätes Rett-Stadium

Das vierte Stadium beginnt in der Regel nach dem 10. Lebensjahr, bei einigen Mädchen aber auch erst gegen Ende der Pubertät. Die Mädchen bleiben im Körperwachstum zurück. Im Vordergrund dieser Phase stehen vor allem Bewegungsstörungen und orthopädische Probleme – insbesondere die Verkrümmung der Wirbelsäule (Skoliose).

Was sind Merkmale des Rett-Syndroms?

Das Rett-Syndrom bringt einige Merkmale mit sich. Manche Kinder mit Rett-Syndrom zeigen viele dieser Merkmale, andere weniger. Manchmal treten bei einem Kind Merkmale auf, die zwar mit dem Rett-Syndrom in Zusammenhang gebracht werden, aber eher selten sind. Man kann nicht vorhersagen, wie sich das Rett-Syndrom auf das einzelne Kind auswirkt und dadurch gibt es insgesamt sehr große Unterschiede.

Einige häufige Merkmale sind:

  • Verlernen der Fähigkeit zum kontrollierten Gebrauch der Hände
     
  • Handstereotypien – sich wiederholende Handbewegungen (wringende, waschende, knetende Handbewegungen)
     
  • Normaler Kopfumfang bei der Geburt, verlangsamtes Kopfwachstum zwischen dem 5. Lebensmonat und dem 4. Lebensjahr
     
  • Atemauffälligkeiten: Hyperventilation und/oder Atemanhalten (Apnoe) und/oder Luftschlucken
     
  • Epilepsie
     
  • Zunehmend spastische Lähmungen mit fortschreitendem Alter. Die Muskeln werden starrer, Gelenkdeformationen und Muskelschwund können auftreten und orthopädische Probleme hervorrufen
     
  • Verkrümmung der Wirbelsäule (Skoliose)
     
  • Verlangsamtes Körperwachstum
     
  • Verstopfung
     
  • Unruhephasen
     
  • Verlernen vorhandener Lautsprache und kommunikativer Fähigkeiten

Was können Eltern tun?

Es gibt verschiedene Hilfen für dein Kind mit Rett-Syndrom, die es im Alltag unterstützen können.

Insbesondere den orthopädischen Problemen, wie der Wirbelsäulenverkrümmung kann therapeutisch sinnvoll und gut begegnet werden, z. B. durch Physiotherapie, Gymnastik, Reittherapie oder auch die Anfertigung eines Korsetts. Die Epilepsie kann durch Medikamente gut behandelt werden, wobei hier die richtige Medikamenten-Kombination sowie die Dosierung eine große und wichtige Rolle spielt, damit das Kind weder zu ruhig noch zu unruhig wird.

Die kommunikativen Fähigkeiten verändern sich durch das Rett-Syndrom. So verlieren die Mädchen oft ihre Lautsprache bzw. erlernen erst gar keine Lautsprache. Hilfsmittel der Unterstützten Kommunikation (UK) haben sich hier sowohl für den Alltag zu Hause als auch für Kindergarten und Schule sehr bewährt. Es gibt hier ganz unterschiedliche Kommunikationsformen und oftmals bietet sich auch eine Kombination aus verschiedenen Formen an, um dem Kind eine möglichst unkomplizierte und effektive Hilfe an die Hand zu geben mit seiner Umwelt zu kommunizieren und damit Wünsche und Bedürfnisse auszudrücken. 

Es gibt mehrere Beratungsstellen in Deutschland. Eine Auflistung aller UK-Beratungsstellen findest Du auf der Seite der Gesellschaft für Unterstützte Kommunikation e.V.. Dort kannst Du dich auch über Unterstützte Kommunikation im Allgemeinen informieren. Eine Beratungsstelle in deiner Nähe findest Du auf der Seite des Vereins
Der Arbeitskreis Unterstützte Kommunikation bietet ebenfalls zahlreiche Informationen sowie Workshops und Literaturempfehlungen auf seiner Seite an. 
In Bayern gibt es zudem an mehreren Standorten (z. B. Würzburg, Ingolstadt, München, etc.) die ELECOK Beratungsstellen. Dort kannst Du dich auch ausführlich über UK informieren. Die Lebenshilfe Erlangen bietet ebenfalls eine Beratungsstelle für Unterstützte Kommunikation an. 

Die erste Anlaufstelle für Therapie und Förderung im Allgemeinen ist die Frühförderstelle oder das sozialpädiatrische Zentrum, deren Adressen der Kinderarzt vermitteln kann (für Bayern findest Du diese auch in unserer Adressdatenbank). Dort werden dann gemeinsam mit dir als Elternteil und einem Team aus Fachleuten passende Therapie- und Fördermöglichkeiten gefunden.

Wo finde ich Hilfe?

Wenn die Diagnose „Rett-Syndrom” gestellt wird, fühlen sich viele Eltern zunächst allein gelassen mit ihren Problemen, Fragen und Sorgen. Deshalb haben sich weltweit Eltern zu Elternverbänden und Selbsthilfegruppen zusammengeschlossen. Besonders ans Herz legen möchten wir dir zum einen die Elternhilfe vom Landesverband Bayern und zum anderen die Elternhilfe des Vereins Rett Deutschland e.V. Hier findest Du viele Experten (sowohl Eltern als auch Fachleute), die ihre eigenen Erfahrungen gerne mit dir teilen und dich bei allen Fragen und Problemen unterstützen.

Der Verein Rett-Syndrom Deutschland e.V. hat sich zum Ziel gemacht, an der Entwicklung von Therapien und der Heilung des Rett-Syndroms intensiv mitzuarbeiten. Auf der Internetseite des Vereins kannst Du dich über aktuelle Forschungsprojekte und Neuigkeiten hinsichtlich einer Therapie informieren. Auch auf rett-syndrom.de findest Du weitere Informationen und Unterstützungsangebote.

Wenn Du eine Frage hast und dich austauschen möchtest, dann schau doch mal bei uns in der intakt-Community vorbei. 

Weiterführende Informationen
Quellenverzeichnis
Bildquellen