Geschwisterkinder - Bruder oder Schwester eines Kindes mit Behinderung

Familie und Freizeit

Geschwisterkinder - Bruder oder Schwester eines Kindes mit Behinderung

Stand: 27.02.2025

In diesem Fachbeitrag geht es um Geschwisterkinder, also um Geschwister, deren Bruder oder Schwester eine Behinderung hat. Teilweise stehen Geschwisterkinder vor Herausforderungen, die Kinder ohne Geschwister mit Behinderung so nicht erleben. Aber nicht alle Geschwisterkinder empfinden diese Herausforderungen als belastend. In diesem Fachbeitrag möchten wir auf mögliche Herausforderungen eingehen, aber auch auf die Chancen von Geschwisterkindern aufmerksam machen und Eltern Tipps und Anlaufstellen mit auf den Weg geben.

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Geschwisterkinder

Sie wachsen in einer besonderen Familiensituation auf. Diese kann bereichernd sein, aber auch Herausforderungen mit sich bringen.

Jede Familie, jedes Geschwister und auch jedes Geschwisterkind ist anders. Daher können diese Situationen unterschiedlich wahrnehmen und verschieden mit diesen umgehen. So braucht das eine Geschwisterkind eventuell mehr Unterstützung als ein anderes.

Es ist hilfreich, wenn Eltern sich dieser besonderen Situation bewusst sind, um sie bei Bedarf unterstützen zu können. 

Mögliche Herausforderungen von Geschwisterkindern

In Familien mit einem Kind mit Behinderung entsteht eine andere Familienkonstellation, als in Familien ohne einem Kind mit Behinderung, die Geschwisterkinder unterschiedlich stark beeinflussen kann. Dadurch können Herausforderungen entstehen. Diese Herausforderungen verändern sich im Laufe des Lebens der Geschwisterkinder.  

Ob die Herausforderungen auch wirklich zur Belastung des Geschwisterkindes führen oder ob sie an der Herausforderung wachsen, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Die jeweils individuelle Familiensituation (Art der Behinderung, weitere Geschwisterkinder, Alleinerziehende, Umfeld der Familie, ...) und Persönlichkeit des Geschwisterkindes spielen unter anderem eine Rolle.

Welche Herausforderungen können das sein?

Die Entstehung und der Umgang mit Schuldgefühlen

Schuldgefühle können aus verschiedenen Gründen entstehen. Manchmal entwickeln sie sich, da das Geschwisterkind das Gefühl hat, sich nicht genügend Zeit für den Bruder oder die Schwester zu nehmen oder die Eltern nicht ausreichend zu unterstützen. Sie fühlen sich verantwortlich. Wenn sich die Geschwisterkinder diesbezüglich selbst unter Druck setzen, dann spricht man von einer selbstauferlegten Verantwortung. Mit dieser haben einige Geschwisterkinder zu kämpfen.
Das Geschwisterkind kann auch vor der Herausforderung stehen, mit negativen Gefühlen gegenüber ihrem Geschwister umzugehen. Diese können zum Beispiel entstehen, wenn es sich über den Bruder oder die Schwester ärgert oder neidisch ist, da das Geschwister mehr Zeit und Zuwendung aufgrund des erhöhten Unterstützungbedarfs von den Eltern erhält.

Die andere Familiensituation

Für Geschwisterkinder kann es herausfordernd sein, dass die Familiensituation und das Geschwister anders ist. Das kann dazu führen, dass Geschwisterkinder von anderen Kindern ausgegrenzt werden oder "blöde Sprüche" zu hören bekommen.
Eine offensichtliche Behinderung zieht manchmal neugierige Blicke von anderen auf sich oder die Familie fällt zum Beispiel beim Spazierengehen auf, da das Kind mit Behinderung sich für andere ungewöhnlich verhält. 

Teilweise müssen sich Geschwisterkinder aufgrund der Behinderung schon sehr früh mit Themen wie Pflege, Krankheit oder Sterben auseinandersetzen. Damit muss das Geschwisterkind umgehen lernen.

Manche möchten ihren Eltern nicht noch zusätzlich Sorgen bereiten und reagieren daher mit einem sehr angepassten Verhalten. Man kann es sich so vorstellen: Das Geschwisterkind merkt, wie sich die Eltern wegen eines anstehenden Krankenhausaufenthalts Sorgen machen und möchte sie nicht zusätzlich mit anderen Themen belasten.

Aufwachsen mit einer anderen Rollenverteilung

Wenn das Geschwister mit Behinderung der große Bruder oder die große Schwester ist, kann es sein, dass das jüngere den großen Bruder oder die große Schwester in der Entwicklung überholt. Dadurch erleben manche Geschwisterkinder auch nicht die typische Rivalität unter Geschwistern.

Ängste

Die Entwicklung von Ängsten kann auch eine herausfordernde Situation für Geschwisterkinder sein. Dabei können diese ganz unterschiedlich aussehen. Mögliche Ängste können sein:

  • Wird mein Geschwister sterben? 
  • Bin ich vielleicht auch von der Behinderung betroffen?
  • Ist es möglich, dass ich die Behinderung nicht habe, sie aber in mir steckt und ich sie später an meine eigenen Kinder vererben könnte?
  • Wie soll das funktionieren, wenn unsere Eltern mal nicht mehr in der Lage sind, die Verantwortung für das Geschwister zu übernehmen? Muss ich das dann machen? Kann ich Nein sagen? Schaffe ich es, die Verantwortung für mein Geschwister zu übernehmen?
  • Wird es meinem Geschwister in der Zukunft gut gehen? 

Diese Ängste können eine Belastung im jungen Alter darstellen und sich auch auf das Leben im Erwachsenenalter (zum Beispiel die Wahl des Wohnorts, Kinderwunsch, Partnerwahl,...) auswirken. 

Chancen für Geschwisterkinder

Lange Zeit wurde nur auf die möglichen Herausforderungen und daraus entstehenden Belastungen geschaut. Viele Geschwisterkinder sagen, dass sie für ihren eigenen Lebensweg viel Positives aus der Beziehung zu ihrem Geschwister mit Behinderung gewinnen und sie diese in ihrem Leben positiv beeinflusst.

Einige Chancen für Geschwisterkinder können sein

  • eine offene, positive Haltung gegenüber Menschen mit Behinderungen
  • die Entwicklung von Verantwortungsbewusstsein
  • die Entstehung eines positiven Sozialverhaltens
  • das Verständnis für andere Lebenssituationen
  • die Förderung der eigenen Selbstständigkeit
  • eine intensive Beziehung zum Geschwisterkind und damit verbunden ein bewusstes Erleben des gemeinsamen Aufwachsens

Wie auch bei den Herausforderungen kann sich dies von Geschwisterkind zu Geschwisterkind unterscheiden.

Wie können Eltern die Geschwisterkinder unterstützen?

Tipps

Zum Beispiel:

  • Sprich mit dem Geschwisterkind, auch über Sorgen oder andere Themen, die dich gerade beschäftigen. Die eigene Offenheit der Eltern kann die Geschwisterkinder in ihrer eigenen Entwicklung und dem Umgang mit der Behinderung unterstützen. Wenn dein Kind eine Frage hat, die Du nicht beantworten kannst, dann sag das ehrlich. 
  • Schaffe bewusst Zeiten, in denen Du nur für das Geschwisterkind da bist. Dabei kannst Du auch klein anfangen. Wichtig ist, dass in der Zeit die Aufmerksamkeit nur für das Geschwisterkind da ist.
  • Viele Geschwisterkinder möchten in der Familie unterstützen. Sprich offen darüber, welche Aufgaben übernommen werden möchten und übernommen werden können.
  • Sprich auch offen über die mögliche zukünftige Betreuung des Geschwisters mit Behinderung. Es ist wichtig, dass das Geschwisterkind eine Wahl hat und sich nicht automatisch dazu verpflichtet fühlt für sein Geschwister mit Behinderung ein Leben lang zu sorgen. Findet gemeinsam eine passende Lösung.
  • Achte darauf, dass das Geschwisterkind Platz für Freiräume hat und es auch die Möglichkeit hat, sich in seinen eigenen Bereich zurückzuziehen.
  • Suche dir passende Unterstützungsmöglichkeiten, die euch als Familie entlasten.  

Perspektiven von Geschwisterkindern und anderen Eltern

Ebenso wie der Austausch unter Geschwisterkindern hilfreich sein kann, kann es auch für Eltern wertvoll sein, sich mit den Erfahrungen anderer Geschwisterkinder und Eltern auseinanderzusetzen.

Welche Angebote gibt es?

Angebote für Geschwisterkinder

Der Austausch mit anderen Geschwisterkindern kann hilfreich sein, weil er ihnen zeigt, dass sie mit ihrer Situation nicht allein sind. Unabhängig davon, ob sie Unterstützung benötigen, gibt es Angebote, die für Geschwisterkinder einfach eine tolle Möglichkeit darstellen.

Mögliche Angebote sind:

  • Geschwisterstammtische: Es gibt Geschwisterstammtische, bei denen sich Geschwisterkinder regelmäßig vor Ort treffen und austauschen.
  • Geschwisterseminare: Es gibt spezielle Seminare nur für Geschwisterkinder. Auch hier haben die Geschwisterkinder unter anderem die Möglichkeit ganz offen über ihre Gefühle zu sprechen und sich zu bestimmten Themen auszutauschen.
  • Geschwistertreffen: Es gibt jährliche Geschwistertreffen, bei denen sich Geschwisterkinder zum Beispiel für ein Wochenende treffen und gemeinsam Zeit verbringen.
  • Geschwisterfreizeiten
  • Online-Treffen
  • Online-Communitys

Wo finde ich die Angebote?

Zum Beispiel:

Unterstützung und Angebote für die gesamte Familie 

  • Familienfreizeiten für Familien mit Kindern mit Behinderung: Bei den Freizeiten können alle Familienmitglieder mitfahren. Für das Kind mit Behinderung wird eine Betreuungsmöglichkeit angeboten, sodass alle Familienmitglieder die Chance auf freie Zeit haben. 
    Anbieter in Bayern sind beispielsweise
  • Kinderhospize: Kinderhospize begleiten und unterstützen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit einer lebensverkürzenden Erkrankung, aber auch die Eltern und Geschwisterkinder.
  • Familienunterstützende Dienste (FuD): Der FuD kann zeitweise die Betreuung deines Kindes mit Behinderung übernehmen. So hast Du die Möglichkeit gezielt Zeit mit dem Geschwisterkind/den Geschwisterkindern zu verbringen.  

 

Weiterführende Informationen
Quellenverzeichnis
  • Bernitzke, F. (2019). Heil- und Sonderpädagogik. Inklusive Pädagogik. Bildungsverlag EINS GmbH.
  • Grünzinger E. (2005). Geschwister behinderter Kinder. Besonderheiten, Risiken, Chancen: ein Familienratgeber. Care-Line-Verlag.
  • Hackenberg, W. (2008). Geschwister von Menschen mit Behinderung. Entwicklung, Risiken, Chancen. Ernst Reinhardt Verlag München Basel. 
  • Wilken, Udo (Hrsg.)Jeltsch-Schudel, Barbara (Hrsg.) (2003). Eltern behinderter Kinder. Empowerment - Kooperation - Beratung. Kohlhammer.
  • https://www.bundesverband-kinderhospiz.de/kinderhsopizarbeit-national
  • https://www.kita-fachtexte.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen/FT_wachtel_2011.pdf
  • https://katho-nrw.de/forschung-und-transfer/forschungsinstitute/institut-fuer-teilhabeforschung/abgeschlossene-forschungsprojekte/erwachsene-geschwister-von-menschen-mit-behinderung
  • https://www.stiftung-familienbande.de/service/tipps-fuer-eltern.html
Bildquellen
  • https://stock.adobe.com/de/images/gemeinsam/113098854?prev_url=detail
  • https://stock.adobe.com/de/images/meme-pas-peur/10755873?prev_url=detail
  • https://de.123rf.com/lizenzfreie-bilder/wachstum.html?&sti=nicscfq6ck75a41c79%7C&mediapopup=46818363